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8.5 Immuntherapie der AML
Trotz erheblicher Fortschritte in den vergangenen Jahren sind die immuntherapeutischen Optionen zur Behandlung der akuten myeloischen Leukämie (AML) weiterhin geringer als bei anderen malignen Erkrankungen. Dies liegt zum einen daran, dass aufgrund der oft rasanten Wachstumskinetik der Progress der Leukämie häufig schneller verläuft als der Aufbau einer effektiven Immunreaktion. Zum anderen ist die Immunogenität der myeloischen Leukämiezellen geringer als die anderer Tumorentitäten. Ursache hierfür kann sowohl eine Selektion wenig immunogener Leukämiezellen ("Immune-editing" der Leukämie) als auch eine Deletion leukämiereaktiver T-Zell-Klone ("Tumor-editing" des Immunsystems) sein. Die Existenz gegen Myeloblasten gerichteter zellulärer und humoraler Immunreaktionen ist bei Patienten mit AML jedoch eindeutig belegt. Vor allem die klinischen Ergebnisse der allogenen Stammzelltransplantation, der Einsatz monoklonaler Antikörper und erste Ergebnisse von Vakzinierungsstudien zeigen, dass auch AML immuntherapeutischen Behandlungsansätzen gegenüber empfindlich sind. Die bislang in klinischen Studien untersuchten Verfahren lassen sich in 6 Gruppen einteilen:
- Zytokintherapie
- Antikörpertherapie
- Allogene Donor-Leukozyten-Infusionen (DLI)
- Vakzinierung
- T-Zell-Therapie
- NK-Zell-Therapie
8.5.1 Immunologische Zielstrukturen
Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz immuntherapeutischer Maßnahmen ist die Expression von leukämie- oder zumindest linienspezifischen Zielstrukturen auf den Tumorzellen. Mit Hilfe neuer Analyseverfahren wie dem Gene expression profiling oder Proteomics werden derzeit ständig neue immunologische Zielstrukturen identifiziert, sodass die Liste potenzieller Tumorantigene stetig wächst [Greiner J 2006].
In Abhängigkeit von ihrer primär membranständigen oder intrazellulären Lokalisation lassen sich 2 Gruppen von Antigenen unterscheiden. Die direkt an der Zelloberfläche exprimierten Strukturen stellen den Angriffspunkt für Antikörper und zytotoxische Lymphozyten mit chimären (transfizierten) Rezeptoren dar. Die intrazellulären Proteine, die erst nach ihrer Spaltung zu Peptiden und Präsentation über das HLA-System durch das Immunsystem erkannt werden können, sind die Zielstruktur zytotoxischer T-Zellen (Cytotoxic T-cells, CTL). Einige wichtige für die AML beschriebene Antigene sind in Tabelle 8.3 dargestellt.
Tab. 8.3: Immunologische Zielstrukturen (Antigene) auf AML-Zellen | Struktur | Expression auf AML-Zellen [%] | Expression in normalem Gewebe | Bedeutung | OFA-iLRP | 100 | Nicht bekannt | Onkofetales Protein | hTERT | 30 | Eventuell auf CD34+-Zellen | Aktivierung der Telomerase | PRAME | 60 | Unter anderem in Hoden und Pankreas | Apoptose-Induktion | Proteinase 3 | 70 | Myeloische Zellen | Neutrophilenelastase | RHAMM | 70 | Hoden, Plazenta, Thymus | Spindelformation | Survivin | 100 | Lymphozyten | Apoptose-Inhibition | WT1 | 80 | Plazenta, evtl. CD34+-Zellen | Transkriptionsfaktor | CD33 | >90 | Myeloische Zellen | Zell-Zell-Interaktion |
Die Immuntherapie mit einer genau definierten und leukämiespezifischen Zielstruktur ist derzeit nur in Ausnahmefällen möglich. Die bislang klinisch erfolgreichsten Verfahren wie der Transfer von Spenderlymphozyten nach allogener Stammzelltransplantation oder die Behandlung mit monoklonalen Antikörpern sind noch weit von der gewünschten Spezifität entfernt. Aber auch einige der in klinischen Studien relevanten "Tumorantigene" sind nicht leukämiespezifisch. So stellt beispielsweise die Proteinase 3, ein immunrelevantes leukämieassoziiertes Antigen bei der chronischen myeloischen Leukämie, auch ein Autoantigen und eine immunologische Zielstruktur beim Morbus Wegener dar.
Während die immunogenen Zielstrukturen für T-Zellen und Antikörper zumindest vom Prinzip her klar definiert wurden, sind die zu einer Aktivierung von NK-Zellen durch myeloische Blasten führenden Strukturen relativ schlecht charakterisiert. Zwar ist bekannt, dass viral infizierte und maligne Zellen verschiedene NK-Zell-aktivierende Moleküle wie MIC oder HSP an ihrer Oberfläche exprimieren, der Ablauf der Interaktion mit NK-Zell-spezifischen Liganden ist jedoch nur unzureichend geklärt.
8.5.2 Problem der Tumortoleranz
Von einigen Immunologen wird bezweifelt, dass es überhaupt möglich ist, eine effiziente Immunantwort gegen die in Tabelle 8.3 genannten Differenzierungsantigene zu induzieren, da es sich immer auch um "Selbstantigene" handelt, gegenüber denen jeder Organismus Toleranz entwickelt hat und zum Selbstschutz auch entwickeln muss. Aus diesem Grund spielen 3 weitere Mechanismen bei der Entwicklung immuntherapeutischer Verfahren eine große Rolle:
- Immunreaktionen gegen Minor-Antigene. Die Reaktion HLA-identischer allogener T-Zellen gegen genetisch polymorphe intrazytoplasmatische Proteine des Patienten, die sog. Minor-Antigene, stellt vermutlich eine wesentliche Grundlage für den von der Graft-versus-host-(GvH-)Reaktion unabhängigen Graft-versus-Leukämie-(GvL-)Effekt dar [Goulmy E 2006]. Sofern sich die Expression der polymorphen Proteine auf das hämatopoetische Gewebe beschränkt, ist die zytotoxische Effektivität der T-Zellen ausschließlich myelospezifisch. Die Identifikation hämatopoesespezifischer Minor-Antigene ist jedoch extrem aufwändig, und bislang konnten nur wenige solcher Antigene wie HA-1, HA-2 und LRH-1 identifiziert werden. Der Nachteil dieser Antigene besteht darin, dass sie jeweils nur von einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung exprimiert werden.
- Reaktion HLA-differenter allogener T-Zellen gegen leukämieassoziierte Proteine, deren Peptide über ein der allogenen T-Zelle unbekanntes HLA-Molekül des Patienten präsentiert werden. Die Induktion einer solchen allorestringierten T-Zell-Antwort in vitro und die Expansion HLA-differenter T-Zellen mit entsprechender Spezifität sind heute schon möglich. Sie können jedoch nicht in vivo eingesetzt werden, da die HLA-Differenz vermutlich zu ihrer sofortigen Abstoßung führen würde. Ziel ist es daher, die entsprechenden T-Zell-Rezeptoren (T-cell receptors, TCR) zu klonieren und in HLA-identische T-Zellen des Patienten zu transfizieren.
- Xenogene Immunreaktionen. HLA-transgene Mäuse sind ebenfalls in der Lage, Immunreaktionen gegen humane Differenzierungsantigene zu entwickeln, sofern sich die murinen Analoga hinreichend von den humanen Proteinen unterscheiden. Im Vergleich zu den genannten allorestringierten T-Zellen sind xenorestringierte murine T-Zell-Linien etwas einfacher durch Vakzinierung herzustellen. Ziele sind auch hier die Identifikation von TCR gegen leukämieassoziierte Antigene und die anschließende Transfektion in HLA-identische humane T-Lymphozyten.
Das Ziel tumorimmunologischer Forschung ist die Durchbrechung der Toleranz gegenüber den vom Tumor exprimierten Antigenen. Doch auch falls dies gelingen sollte, werden noch einige Jahre vergehen, bevor die genannten Ansätze durch den Einsatz gentherapeutischer Methoden Eingang in die Klinik finden. Dennoch kann heute schon gezeigt werden, dass sich immuntherapeutische Methoden erfolgreich in die Behandlung der AML einbeziehen lassen.
8.5.3 Unspezifische Immunstimulation und Zytokintherapie
Bereits vor 50 Jahren sind im Rahmen klinischer Studien Versuche unternommen worden, durch eine unspezifische Stimulation des Immunsystems mit BCG eine gegen die myeloischen Blasten gerichtete Immunreaktion zu induzieren. Ein wesentlicher Schub in der Entwicklung entsprechender Behandlungsansätze entstand durch die Verfügbarkeit rekombinanter Zytokine. Umfangreiche klinische Erfahrungen bestehen hauptsächlich mit den Zytokinen Interleukin 2 (IL-2) und Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor (Granulocyte-macrophage-colony stimulating factor, GM-CSF).
Durch IL-2, aber auch durch andere Zytokine wie IL-12 können autologe und allogene antileukämische Effektorzellen in die Lage versetzt werden, myeloische Blasten effektiver zu lysieren. Da der IL-2-Effekt auf die T-Zell-vermittelte Immunität durchaus ambivalent ist und bei Applikation hoher IL-2-Dosen auch eine aktivierungsinduzierte Elimination von T-Zellen zu befürchten ist, konzentrierten sich die Bemühungen früh auf eine gezielte Steigerung der NK-Zell-Aktivität.
Obwohl die antileukämische Wirksamkeit von IL-2 in tierexperimentellen Modellen klar belegt ist, sind die klinisch berichteten Ergebnisse bislang eher enttäuschend. Hinzu kommt, dass die Zytokintherapie in Kombination mit autologer Stammzelltransplantation oder hochdosierter Chemotherapie mit einer erheblichen Toxizität (Fieber, hypotone Kreislaufreaktion, Dyspnoe) verbunden ist. Die Ergebnisse großer Phase-II- und -III-Studien bei Patienten in erster kompletter Remission zeigten auch nach langen Beobachtungszeiten keinen Überlebensvorteil für Patienten, die eine niedrigdosierte IL-2-Erhaltungstherapie nach erfolgter hämatologischer Restitution erhalten hatten [Blaise D 1997]. Jedoch hatte nur ein Teil der randomisierten Patienten die Behandlung tatsächlich erhalten. Die IL-2-Therapie von Patienten mit rezidivierter oder therapierefraktärer AML kann in Einzelfällen zu einem Ansprechen bis hin zur Induktion einer hämatologischen Remission führen, sodass eine begrenzte Wirksamkeit der IL-2-Therapie auch klinisch belegt ist [Meloni G 1994].
Während IL-2 vermutlich hauptsächlich über eine Stimulation von NK-Zellen wirkt, ist mit der Gabe von GM-CSF die Hoffnung verbunden, die Expression von Tumorantigenen zu verstärken und dadurch eine spezifische Immunreaktion zu induzieren. Dieses Vorgehen wurde v.a. im Rahmen der Rezidivtherapie nach allogener Stammzelltransplantation [Schmid C 2004] und (mit primär anderer Intention) nach Induktionstherapie untersucht. Die Ergebnisse lassen noch keine endgültigen Schlüsse über den Stellenwert und die Wirkmechanismen der GM-CSF-Gabe zu. Allerdings ließ sich wiederholt zeigen, dass durch die Kombination von GM-CSF und Chemotherapie eine Verbesserung der Remissionsrate und des rezidivfreien Überlebens erzielt werden kann [Thomas X 2007].
Eine potenzielle Nebenwirkung ist die zytokininduzierte Stimulation der Blastenproliferation, da ein Teil der Leukämien Rezeptoren auch für IL-2 und GM-CSF besitzt. Aus diesem Grund und wegen der letztlich unklaren Effektivität sollte eine Behandlung mit Zytokinen nur im Rahmen von klinischen Studien erfolgen.
8.5.4 Immuntherapie mit monoklonalen Antikörpern
In der vergangenen Dekade sind vermehrt monoklonale Antikörper zur Therapie der AML eingesetzt worden, entweder als unkonjugierte Antikörper oder gekoppelt mit Toxinen oder Radioisotopen [Appelbaum FR 1999]. Fortschritte in der Molekularbiologie haben die Herstellung humanisierter oder chimärer Antikörper möglich gemacht, die weniger immunogen sind und die im Gegensatz zu murinen Antikörpern ADCC (Antibody-dependent cellular cytotoxicity) und CDC (Complement-dependent cytotoxicity) vermitteln können. Die Mehrzahl der Studien ist mit einem gegen das CD33-Antigen gerichteten Antikörper durchgeführt worden. Als membranständiges Glykoprotein mit bislang ungeklärter Funktion findet sich CD33 auf einer Vielzahl reifer und immaturer myeloischer Zellen, nicht jedoch auf Granulozyten, hämatopoetischen Stammzellen und normalem Gewebe. Bei etwa 90% der Patienten sind die AML-Blasten CD33-positiv (definiert als Expression des Antigens in >20% der Blasten).
Mit HuM195 (Lintuzumab) liegt seit Längerem ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen dieses Antigen vor. Der reine Antikörper wurde bislang lediglich in einer Phase-III-Studie in Kombination mit einer Chemotherapie hinsichtlich seiner Wirksamkeit getestet. Es zeigte sich eine geringfügig bessere Ansprechrate, jedoch kein Einfluss auf das Langzeitüberleben. Erfolgreichere Ergebnisse wurden mit Gemtuzumab Ozogamicin erzielt, einem humanisierten Anti-CD33-Antikörper, an den das bakterielle Toxin Calicheamicin gekoppelt wurde.
Aufgrund der relativ langen Halbwertszeit von mehr als 3 Tagen wurde in den Phase-I-Studien ein Dosierungsintervall von 2 Wochen gewählt und bei weiteren Studien beibehalten. Phase-II-Studien verwendeten Gemtuzumab in einer Dosierung von 9 mg/m2KOF an den Tagen 1 und 14. Diese Studien zeigten bei Patienten mit rezidivierter AML eine Ansprechrate von etwa 30% und eine Rate kompletter Remissionen (Complete remission, CR) von etwa 15% [Larson RA 2005]. Ein Problem stellte die hohe Lebertoxizität (Grade 3 und 4) bei etwa 20% der Patienten dar. Unter der Annahme, dass die Blasten permanent CD33 an ihrer Oberfläche erneuern und bei repetitiver Gabe eine kumulative Inkorporation des Calicheamicin mit dem Antikörper erfolgt, wurde in einer neueren Studie die Dosis fraktioniert gegeben (3 mg/m2KOF an den Tagen 1, 4 und 7). Bei vergleichbarer Effektivität war die Toxizität der Therapie deutlich geringer [Taksin AL 2007]. Trotz des potenziell remissionsinduzierenden Effekts liegt das Gesamtüberleben nach Monotherapie mit Gemtuzumab Ozogamicin im Median nur bei etwa 6 Monaten.
Es gibt Hinweise darauf, dass eine hohe Antigenexpression im peripheren Blut die Wirksamkeit des Antikörpers vermindert und v.a. seine Präsenz im Knochenmark reduziert. Daher ist zu erwarten, dass die Effektivität in Kombination mit einer Chemotherapie wesentlich besser ist. Untersuchungen am M.D. Anderson Cancer Center und des United Kingdom Medical Research Council (MRC) haben diese Frage im Rahmen großer Phase-III-Studien untersucht. Die ersten Auswertungen des MRC-Trials mit mehr als 1000 Patienten zeigen, dass die zusätzliche Gabe von Mylotarg (3 mg/m2KOF) im Rahmen einer Standardchemotherapie das Rezidivrisiko signifikant vermindert, was sich auch deutlich auf das krankheitsfreie Überleben auswirkt. Von der Behandlung mit Myelotarg profitierten hauptsächlich Patienten der zytogenetisch definierten Gruppen mit Niedrig- und Intermediärrisiko. Im Gegensatz zu früheren Studien mit höheren Dosierungen war der positive Effekt auf die Rezidivrate bei der gewählten Dosis von 3 mg/m2KOF nicht mit einer erhöhten Hämato- und Hepatotoxizität verbunden. Zudem konnte kein negativer Effekt im Hinblick auf eine zuvor berichtete erhöhte Lebertoxizität bei den später allogen behandelten Patienten beobachtet werden [Taksin AL 2007]. Eine abschließende Beurteilung, inwieweit sich aus der Kombinationstherapie gegenüber der konventionellen Chemotherapie ein Überlebensvorteil ergibt, ist derzeit noch nicht möglich [Gleissner B 2007].
8.5.5 Allogene Donorleukozyteninfusionen (DLI)
Spenderlymphozyteninfusionen im Kontext der allogenen Stammzelltransplantation
Durch die Übertragung von Spenderleukozyten kann bei Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie (CML), die nach allogener Transplantation ein Rezidiv erleiden, in der überwiegenden Zahl der Fälle eine erneute Remission und in der Regel auch eine Heilung der Erkrankung erzielt werden. Dieses von Kolb erstmals erfolgreich eingesetzte Therapieprinzip [Kolb HJ 1990] ist in der Behandlung der CML inzwischen zum therapeutischen Standard geworden und stellte die erste klinisch hocheffektive Form der zellulären Immuntherapie dar. Mit Hilfe immunologischer Analysen konnte inzwischen zudem erstmals überzeugend demonstriert werden, dass transferierte und in vivo proliferierende T-Zell-Klone mit Spezifität gegen tumorspezifische Antigene in der Lage sind, maligne Erkrankungen zu heilen [van Bergen CA 2007].
Leider ist die Effektivität dieses Vorgehens bei der AML limitiert. Zwar gelingt es bei etwa einem Drittel der Patienten, die nach allogener Transplantation ein AML-Rezidiv erleiden, ein Ansprechen oder sogar eine komplette Remission durch die alleinige Gabe von Spenderleukozyten zu erzielen, der Anteil der längerfristig krankheitsfreien Patienten liegt jedoch unter 10% [Kolb HJ 2004]. Aus diesen Gründen wurde frühzeitig damit begonnen, die Gabe von Spenderleukozyten mit einer Salvage-Chemotherapie zu kombinieren. Die Ansprechrate konnte hierdurch zwar deutlich erhöht werden, jedoch führte die lang anhaltende chemotherapieinduzierte Neutropenie in der Posttransplantationssituation zu einer erheblichen behandlungsbedingten Morbidität und Mortalität. Aus diesem Grund wurde in vielen Studien die Gabe von Spenderleukozyten mit der erneuten Gabe von hämatopoetischen Stammzellen verbunden [Schmid C 2004]. Durch die Einführung einer sequenziellen Behandlung mit zytoreduktiver Therapie (in erster Linie niedrigdosiertes Cytosin-Arabinosid, bei Nichtansprechen Intensivierung der Chemotherapie), gefolgt von einer erneuten Gabe allogener Blutstammzellen und anschließender Gabe von GM-CSF, konnten in einer aktuellen Phase-II-Studie bei AML-Rezidiv nach allogener Stammzelltransplantation anhaltende komplette Remissionen erreicht werden. Insbesondere Patienten mit einem Spätrezidiv (>6 Monate nach Transplantation), die gut auf eine zytoreduktive Therapie mit niedrigdosiertem Cytosin-Arabinosid ansprachen, profitierten von dieser Therapie (Gesamtüberleben von >50% nach 2 Jahren). Heute ist in vielen Kliniken bei AML-Rezidiv nach allogener hämatopoetischer Stammzelltransplantation ein stufenweises Vorgehen üblich. Zunächst wird bei Abfall des Chimärismus die Immunsuppression abgesetzt bzw. ausgeschlichen, sofern keine schwere GvH-Erkrankung vorliegt. Ist dies nicht ausreichend oder liegt bereits ein hämatologisches Rezidiv vor, wird zusätzlich mit der Gabe von Spenderleukozyten in steigenden Dosen begonnen. Sofern der Spender zustimmt, können alternativ hierzu oder in der Folge erneut Stammzellen mit Apherese aus dem Blut gesammelt werden, die man dann zur Beschleunigung der hämatopoetischen Regeneration zusammen mit den immunologischen Effektorzellen infundiert. Bei (in der Regel dann auch chemotherapierefraktären) Frührezidiven ist die Erfolgsrate demgegenüber äußerst gering, sodass bei jungen Patienten in dieser Situation eher eine erneute Transplantation von einem alternativen Spender erwogen werden sollte.
Ein großes Problem stellt die hohe Inzidenz an schweren GvH-Erkrankungen nach DLI dar (etwa 50%, mindestens Grad 2). Aus diesem Grund wurde versucht, durch Manipulationen des Zellprodukts und selektive Übertragung bestimmter Zellpopulationen einen therapeutischen oder prophylaktischen antileukämischen Effekt zu induzieren und gleichzeitig die Rate an GvH-Erkrankungen zu minimieren. Trotz gewisser Erfolge muss ein solches Vorgehen nach wie vor als experimentell eingestuft werden. Im Rahmen von Studien werden derzeit verschiedene Strategien untersucht. Hierzu gehören die Gabe von NK-Zellen (die keine GvH-Erkrankung induzieren) und die Übertragung von CD8-depletierten Spenderzellen. Eine weitere Möglichkeit stellt die Gabe von genetisch modifizierten T-Zellen dar, die im Fall einer schweren GvH-Erkrankung ein Abschalten der T-Zell-Proliferation in vivo erlauben. Noch in den Anfängen stehen Versuche, GvH-reaktive von GvL-reaktiven Zellen in vitro zu trennen und gezielt die GvH-reaktiven Zellen aus dem Zellprodukt zu entfernen.
Einsatz von allogenen Lymphozyteninfusionen außerhalb der Stammzelltransplantation
Die Erfolge bei der Transplantation hämatopoetischer Stammzellen haben verschiedene Gruppen ermutigt, allogene Lymphozyten auch unabhängig von einer Stammzelltransplantation einzusetzen. In dieser Situation besteht das Problem, dass die Zellen eines allogenen Spenders im nicht ausreichend immunsupprimierten Patienten rasch abgestoßen werden und so nur vorübergehend wirken können. Damit ist jedoch auch der positive Effekt verbunden, dass potenzielle GvH-reaktive Zellen ebenfalls nur temporär zu unerwünschten Reaktionen führen können. Insbesondere die Übertragung von NK-Zellen ist in diesem Zusammenhang attraktiv, da diese Zellpopulation ihre zytotoxische Wirkung sofort entfalten kann. Erste Ergebnisse bei Patienten mit AML-Rezidiv, denen 1x 107 NK-Zellen eines HLA-differenten Spenders unmittelbar nach einer vorausgegangenen Chemotherapie infundiert wurden, waren durchaus erfolgversprechend [Miller JS 2005]. Bei 5 von 19 derart behandelten Patienten konnte zumindest vorübergehend eine komplette hämatologische Remission erzielt werden.
Zelluläre Immuntherapie mit autologen Lymphozyteninfusionen
Bereits in den 1980er Jahren wurde mit sehr begrenztem Erfolg versucht, AML-Rezidive durch die Gabe von mit IL-2 ex vivo aktivierten autologen NK-Zellen zu behandeln. Neuere Ansätze basieren hauptsächlich auf einem Transfer von tumorantigenspezifischen Rezeptoren in NK- oder T-Zellen. So können autologe NK-Zellen beispielsweise mit einem chimären Rezeptor gegen CD33 ausgestattet oder autologe T-Zellen mit einem T-Zell-Rezeptor gegen ein tumorantigenspezifisches Peptid transfiziert werden. Klinisch werden diese genetisch veränderten Zellen jedoch bislang noch nicht eingesetzt, nicht zuletzt da eine Reihe von kritischen Fragen in Bezug auf Autoimmunphänomene und Sicherheitsaspekte des Einsatzes genetisch veränderter Zellen noch nicht abschließend geklärt sind.
8.5.6 Vakzinierung
Das Ziel der Vakzinierung ist die Induktion einer tumorantigenspezifischen T-Zell-Antwort, die eine lebenslange Kontrolle des malignen Zellklons erlaubt. Die Prinzipien entsprechen denen der Impfung zum Schutz vor Infektionserregern. Eine vergleichbar hohe Frequenz antigenspezifischer T-Zellen kann mit den bislang angewendeten Verfahren bei Tumorantigenen jedoch auch nach repetitiver Vakzinierung über viele Wochen nicht erreicht werden. Ein wesentliches Unterscheidungskriterium gegenüber antikörper- oder zellbasierten Ansätzen ist der deutlich längere Zeitraum, der erforderlich ist, um eine effektive Kontrolle des Tumorwachstums zu erzielen. Eine Vakzinierung kann nur dann erfolgreich sein, wenn der Verlauf der Erkrankung genügend Zeit lässt, um den Aufbau einer effizienten Immunreaktion zu ermöglichen. Von daher stellt die AML nur dann eine für Vakzinierungsstrategien geeignete Erkrankung dar, wenn wie z.B. bei myelodysplastischem Syndrom (MDS) oder eher hypoplastischen Formen ein langsamer Verlauf vorliegt oder mit Hilfe einer begleitenden zytoreduktiven Therapie eine signifikante Reduktion der Tumorzellzahl im Sinne der Induktion einer minimalen Resterkrankung erreicht worden ist. In dieser Situation stellt die prophylaktische Vakzinierung einen interessanten und derzeit in verschiedenen Studien untersuchten Ansatz zur Reduktion der Rückfallquote dar.
Technisch stehen verschiedene Möglichkeiten der Vakzinierung zur Verfügung. Neben der Applikation von wachstumsinhibierten und evtl. in ihrer Immunogenität verstärkten autologen Leukämiezellen können wiederum tumorspezifische Proteine oder von ihnen abgeleitete, von HLA-Molekülen des Patienten präsentierte Peptide verwendet werden. Daneben existiert die Möglichkeit, RNA oder DNA des tumorspezifischen Proteins zu verwenden, sodass nach deren Transkription das entsprechende Protein intrazellulär prozessiert und dann präsentiert werden kann. Die Leukämiezelle, das Protein, das Peptid oder die Nukleinsäure kann dem Patienten zusammen mit einem Adjuvans direkt injiziert oder zuvor mit in vitro kultivierten dendritischen Zellen des Patienten ko-inkubiert werden, um so eine optimale Antigenpräsentation zu erlauben.
Der Einsatz von Vakzinierungsstrategien nach allogener Stammzelltransplantation erscheint besonders attraktiv, da in dieser Situation allogene Zellen mit dem Tumorantigen konfrontiert werden, die - im Gegensatz zu den autologen T-Zellen - möglicherweise noch keine Toleranz gegenüber dem verwendeten Antigen entwickelt haben. Die ersten klinischen Daten zeigen, dass ein solches Vorgehen machbar ist und auch schon früh nach Transplantation tumorspezifische Immunreaktionen durch Vakzinierung hervorgerufen werden können.
Vakzinierung mit Tumorantigen-Peptiden
In den letzten Jahren ist es gelungen, für verschiedene tumorassoziierte Antigene Peptide zu identifizieren, die über eines der häufiger vorkommenden HLA-Klasse-I-Moleküle (z.B. HLA-A2) präsentiert werden. Durch die Expression dieser Peptide lässt sich in vitro eine Lyse von Tumorzellen erzielen, sofern sie von T-Zellen mit einem entsprechenden Rezeptor erkannt werden [Rusakiewicz S 2006]. Nicht zuletzt aufgrund ihrer relativ einfachen technischen Machbarkeit sind Studien, bei denen Peptidvakzinierungen eingesetzt werden, derzeit am weitesten fortgeschritten (s. Abb. 8.9).
Abb. 8.9: Prinzip der Vakzinierung mit Tumorantigenpeptiden
Die potenziellen Antigene, die für eine solche Vakzinierung infrage kommen, sind in Tab. 8.3 enthalten. WT1-, RHAMM- und Proteinase-3-Peptide werden derzeit in Phase-II-Studien erprobt. Es konnte gezeigt werden, dass durch die wiederholte Vakzinierung mit Peptid und Adjuvans tatsächlich antigenspezifische T-Zellen induziert werden können. In der bislang größten Studie wurden 37 Patienten mit AML, CML und MDS mit dem Proteinase-3-Peptid PR1 vakziniert. In einem Intervall von 3 Wochen erhielten sie insgesamt 3 Vakzinierungen mit Peptid, inkomplettem Freund-Adjuvans und GM-CSF. Ein Anstieg der Zahl von PR1-spezifischen T-Zellen wurde bei 22 Patienten (60%) beobachtet; bei 11 Patienten (30%) kam es zu einem klinischen Ansprechen [Qazilbash MH 2006].
Auch bei Patienten, die im Rahmen einer Phase-II-Studie mit WT1-Peptid, Keyhole-Limpet-Hemocyanin und GM-CSF vakziniert worden sind [Mailander V 2004], wurden immunologische Reaktionen und ein klinisches Ansprechen beobachtet. Die Vakzine war in der Lage, bei zwei Drittel der Patienten eine WT1-spezifische Immunreaktion zu induzieren. Einer dieser Patienten zeigte eine komplette Remission, und bei 12 von 18 Patienten mit erhöhten Blastenzahlen konnte eine Stabilisierung der Erkrankung für mehrere Monate erzielt werden. Bei mehr als 50% der Patienten zeigte sich ein signifikanter Abfall der Aktivität der WT1-Transkripte als Ausdruck einer verminderten Turmorzellzahl. Die Ergebnisse zeigen das Potenzial dieses Behandlungsansatzes, machen jedoch auch deutlich, dass mit den gegenwärtigen Verfahren bei fortgeschrittenen Erkrankungen keine dauerhafte Krankheitskontrolle möglich ist. Ungeklärt ist auch die Frage, inwieweit eine unspezifische Stimulation des Immunsystems durch Adjuvans und GM-CSF zu den beobachteten immunologischen und klinischen Effekten beiträgt.
Vakzinierung mit dendritischen Zellen
Tumorantigenexprimierende dendritische Zellen (Dendritic cells, DC) können auch naive T-Zellen stimulieren und die Induktion einer tumorspezifischen T-Zell-Antwort hervorrufen. Für DC-basierte Vakzinierungsansätze werden die Zellen ex vivo mit Antigen beladen und anschließend dem Patienten als Zellvakzine injiziert. In den letzten Jahren wurden verschiedene Techniken entwickelt und in präklinischen Modellen getestet. Neben dem Pulsen von DC mit von Tumorantigenen abgeleiteten Peptiden wurden DC auch mit rekombinanten Tumorantigenen, Tumorzelllysaten, apoptotischen Tumorzell-Bodies und spezifischer RNA oder DNA der Tumorzelle beladen. Erste klinische Studien haben die Durchführbarkeit des Ansatzes bei der AML und anderen hämatologischen Erkrankungen gezeigt [Galea-Lauri J 2002]. Über die Effektivität lassen sich noch keine Aussagen treffen.
Die Generierung von autologen antigenpräsentierenden DC aus AML-Blasten stellt einen weiteren Ansatz dar, der ebenfalls in ersten Phase-I-Studien untersucht worden ist. Tatsächlich ist es ohne relevante Nebenwirkungen möglich, durch die wiederholte s.c. Applikation dieser Zellen tumorantigenspezifische T-Zell-Antworten zu induzieren. Jedoch steht einer weiteren Verbreitung dieses zellbasieren Ansatzes der erhebliche Aufwand entgegen, der mit der Herstellung eines individualspezifischen zellbasierten Therapeutikums unter GMP-(Good manufacturing practice)Bedingungen verbunden ist.
8.5.7 NK-Zell-Therapie
NK-Zellen werden als CD3-CD56+-Lymphozyten definiert. Sie lassen sich in 2 Fraktionen unterteilen, die primär immunregulatorische (CD56bright) oder primär zytotoxische (CD56dim) Funktionen besitzen. Viele der NK-Zellen mit zytotoxischer Funktion exprimieren den niedrigaffinen Fc-Reczptor für Immunglobulin G (FcγRIII; auch bekannt als CD16) und sind damit in der Lage, auch über Antikörper vermittelt eine spezifische Zytotoxizität auszuüben. Die Funktion von NK-Zellen wird daneben wesentlich über Rezeptoren für MHC-Klasse-I-Moleküle gesteuert (Killer-cell immunoglobulin-like receptors, KIR). Tumorzellen, die nicht den für den jeweiligen KIR spezifischen HLA-Liganden aufweisen, werden lysiert, da die KIR-vermittelte Hemmung der zytotoxischen Aktivität wegfällt. Das Phänomen wird als "Missing self recognition" bezeichnet und die der gesteigerten Zytotoxizität zugrunde liegende fehlende Erkennung von fremden HLA-Molekülen als "KIR-Liganden-Mismatch". Proliferation und Aktivität von NK-Zellen können auch durch verschiedene Zytokine wie IL-2, IL-12, IL-18 und IL-21 erheblich gesteigert werden. Nach HLA-differenter Transplantation kann es bei Vorliegen eines KIR-Liganden-Mismatch zu einer besonders starken Aktivierung von NK-Zellen kommen. Basierend auf der Beobachtung, dass in dieser Situation bei Niedrigrisikopatienten kaum Rezidive zu beobachten sind, wurde versucht, den Effekt bei Hochrisikopatienten durch adoptiven Transfer von selektierten und mit IL-2 aktivierten NK-Zellen zu verstärken. Erste Ergebnisse von Phase-II-Studien sind erfolgversprechend. Zudem wurden allogene NK-Zellen auch außerhalb der Transplantation eingesetzt. Miller behandelten 19 Patienten mit fortgeschrittener AML mit haploidenten NK-Zellen und IL-2. Bei 5 Patienten konnte eine komplette Remission erzielt werden. Nur bei 4 der 19 Patienten lag ein KIR-Liganden-Mismatch in GvH-Richtung vor. Interessanterweise konnte bei 3 dieser 4 Patienten eine CR erzielt werden [Miller JS 2005].
8.5.8 Fazit
Die AML stellt eine Erkrankung dar, die immuntherapeutischen Therapieansätzen prinzipiell zugängig ist. Das Potenzial wird bislang hauptsächlich bei der Behandlung mit Spenderlymphozyten nach allogener Stammzelltransplantation deutlich, wo lang anhaltende Remissionen und in einigen Fällen sogar Heilungen durch die zelluläre Immuntherapie erzielt werden können. Außerhalb der Transplantation ist die Behandlung mit monoklonalen Antikörpern am weitesten fortgeschritten, und erste Ergebnisse aus Phase-III-Studien zeigen eine signifikante Reduktion der Rezidivrate nach Kombination von Mylotarg und Chemotherapie. Neue, vielversprechende Ansätze basieren auf der Vakzinierung mit Tumorpeptiden und dem Transfer von allogenen oder genetisch modifizierten T- und NK-Zellen. Es ist zu hoffen, dass insbesondere durch die Kombination verschiedener immuntherapeutischer Therapieansätze in den kommenden Jahren weitere Fortschritte erzielt werden können.
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Bei ONKODIN publiziert in Kooperation mit "Deutscher Ärzte-Verlag" (Publikation als Buch)
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