Onkologie, Hämatologie - Daten und Informationen
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8.6 Therapie der rezidivierten und refraktären akuten myeloischen Leukämie

Autor/en: M. Hänel
Letzte Änderung: 01.07.2008

8.6.1 Rezidiv und Refraktärität

Rezidive und (primär) refraktäre Verläufe sind die Hauptursachen für Therapieversagen und Tod von Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML). Dies betrifft bis zu 70% aller AML-Patienten [Xu WL 2006]. Als wichtigste Risikofaktoren für Rezidive bzw. Therapieresistenz gelten:

  • Erkrankungsalter (=/< 55-60 Jahre vs. älter) [Tallmann MS 2005]
  • Karyotyp bei Erstdiagnosestellung (Niedrig- vs. Standard- vs. Hochrisiko) [Grimwade D 1998] [Slovak ML 2000]
  • Nachweis einer sekundären AML [Song KW 2005]
  • FLT3-Mutationsstatus [Gale RE 2005]

Trotz 50-90% kompletter Remissionen (Complete remission, CR) nach Primärtherapie [Liu Yin JA 2001] erleidet die Mehrzahl der Patienten ein Rezidiv [Craddock C 2005]. So rezidivieren nach alleiniger Chemotherapie 50-80% der Patienten mit erster kompletter Remission (CR1) [Liu Yin JA 2001]. Die Rezidive treten meist im ersten Jahr nach CR [Jackson GH 2004] bzw. innerhalb von 2 Jahren nach Erstdiagnosestellung auf [Xu WL 2006]. Die Prognose von Rezidivpatienten ist schlecht. Die Gesamtüberlebensrate beträgt etwa 20% [Leopold LH 2002]. Klinisch werden rezidivierte AML in hämatologische, molekulare und extramedulläre Rezidive unterschieden. Während hämatologische Rezidive (Blastengehalt im Knochenmark von >5%) eine absolute Therapieindikation darstellen, erlangt die Behandlung molekularer Rezidive außer bei der akuten Promyelozytenleukämie (APL) auch bei anderen AML-Formen wie den Core-binding-factor-(CBF-)Leukämien bzw. den AML mit Wilms-Tumor-1(WT1)-Gen-Expression eine zunehmende Bedeutung. Extramedulläre Rezidive (isoliert oder im Rahmen einer systemischen Erkrankung) werden gehäuft bei CBF-Leukämien beobachtet. Die Therapie extramedullärer Rezidive erfolgt kombiniert (lokale Bestrahlung und konsolidierende Chemotherapie) [Ferrara F 2004].

Als refraktäre AML gelten primär refraktäre Erkrankungen, Frührezidive mit einer CR1-Dauer von <6 Monaten, refraktäre Rezidive sowie Mehrfachrezidive [Schmid C 2006]. Refraktäre AML haben eine sehr ungünstige Prognose mit CR-Raten von etwa 10-20% [Estey E 1996]; langfristig überleben ohne allogene Stammzelltransplantation weniger als 10% der Patienten [Estey EH 2000]. Die Definition der primär refraktären AML ist sowohl hinsichtlich morphologischer Kriterien (Blastenzahl im Knochenmark) als auch in Bezug auf Umfang und Intensität der Vortherapie nicht einheitlich. Sinnvoll erscheint es, solche AML als primär refraktär zu bezeichnen, bei denen nach 2 Zyklen einer Induktionstherapie oder einem Zyklus Hochdosis-Cytarabin der Blastengehalt im Knochenmark mindestens 15% beträgt [Song KW 2005]. Primär refraktäre Verläufe betreffen 20-40% der Patienten [Biggs JC1992]. Sie sind mit einer außerordentlich schlechten Prognose verbunden [Estey EH 2000] [Thomas X 2006]. Remissionen nach Salvagetherapie sind meist kurz; nur wenige Patienten überleben langfristig [Johny A 2006] [Revesz D 2003]. Die einzige kurative Therapieoption für Patienten mit primär refraktärer AML ist die allogene Stammzelltransplantation [Song KW 2005]. Mit der Kombination aus zytoreduktiver Chemotherapie und nachfolgender allogener Stammzelltransplantation (nach dosisreduzierter Konditionierung) sind dabei Überlebensraten von etwa 60% beschrieben [Platzbecker U 2006] [Schmid C 2006].

8.6.2 Prognosefaktoren

Wichtige Prognosefaktoren bei rezidivierter/refraktärer AML sind das Patientenalter, der Karyotyp, die CR1-Dauer und eine vorherige (primäre) Stammzelltransplantation [Ferrara F 2004]. Dabei ist die CR1-Dauer der wichtigste Faktor für das Erreichen einer CR2 und das krankheitsfreie Überleben [Estey E 1996] [Kern W 2000]. Während Frührezidive (CR1-Dauer von <6-12 Monaten) nur in 10-20% eine erneute Remission erreichen, liegt die CR2-Rate für Spätrezidive (CR1-Dauer von >12-24 Monaten) bei 40-70% [Estey E 1996] [Hiddemann W 1990] [Kern W 2000].

Im Gegensatz zum Karyotyp bei Erstdiagnose ist die Bedeutung des im Rezidiv bestimmten zytogenetischen Befundes noch unklar. Kern haben jedoch gezeigt, dass die Progression eines initial aberranten Karyotyps die Zeit bis zum Rezidiv signifikant verkürzt. Außerdem war das Ansprechen auf die Salvagetherapie nur durch den Karyotyp im Rezidiv beeinflusst. Demgegenüber wurden Ereignisfreiheit und Gesamtüberleben sowohl durch die bei Diagnosestellung als auch im Rezidiv diagnostizierten Aberrationen beeinträchtigt [Kern W 2002].

Zur Prognoseabschätzung sind für Patienten mit rezidivierter/refraktärer AML der im Jahre 1996 publizierte Estey-Score sowie für Erstrezidive der im Jahre 2005 durch Breems veröffentlichte European Prognostic Index (EPI) geeignet [Breems DA 2005a] [Estey E 1996]. Der Estey-Score unterscheidet in Abhängigkeit von CR1-Dauer sowie Ansprechen auf Induktions- bzw. Salvage-Chemotherapie 4 Gruppen mit einer CR2-Wahrscheinlichkeit von 70% bis <1% [Estey E 1996]. Der EPI berücksichtigt neben dem Patientenalter die CR1-Dauer, den Karyotyp (bei Diagnosestellung) und eine vorherige (primäre) Stammzelltransplantation. Auf der Basis des EPI lassen sich 3 Gruppen mit einer CR2-Wahrscheinlichkeit von 85%, 60% und 34% sowie einem 5-Jahres-Überleben von 46%, 18% und 4% unterscheiden [Breems DA 2005a]. Die prognostische Relevanz des EPI wurde im Jahre 2006 durch Daten einer anderen Arbeitsgruppe bestätigt [Giles F 2006].

8.6.3 Studiendaten

Zur Salvage-Chemotherapie sowie zur Stammzelltransplantation von Patienten mit rezidivierter/refraktärer AML sind überwiegend retrospektive Analysen sowie Phase-I/II-Studien publiziert. Eine im Jahre 2002 von Leopold und Willemze veröffentlichte Übersicht von insgesamt 31 Studien zur Therapie von Erstrezidiven beinhaltete 10 restrospektive Auswertungen, 2 bzw. 15 Phase-II-Studien zur Mono- bzw. Polychemotherapie sowie 4 Phase-III-Studien. Die CR2-Rate lag zwischen 8% und 89% (Korrelation mit Alter und CR1-Dauer); krankheitsfreies und Gesamtüberleben betrugen im Median =/< 14 Monate bzw. =/< 12 Monate (3-Jahres-Überlebensrate: 8-29%) [Leopold LH 2002]. Aktuell sind lediglich 6 randomisierte Phase-III-Studien publiziert. Dabei zeigten sich keine Vorteile für die Hinzunahme von Etoposid zur Kombination eines Hochdosis-Cytarabin-Regimes [ Vogler WR 1994], dem Einsatz von Granulozyten-Kolonie-stimulierendem Faktor (Granulocyte-colony stimulating factor, G-CSF)/Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierendem Faktor (Granulocyte-macrophage-colony stimulating factor, GM-CSF) [Ohno R 1994] [Thomas X 1999], der Dosiseskalation von Cytarabin (ARA-C) [Kern W 1998], der sog. "Timed sequential therapy" bzw. der Modulation der Multidrug-resistance mittels Ciclosporin A [Liu Yin JA 2001] sowie dem Einsatz von Fludarabin und/oder All-trans-Retinolsäure [Miligan DW 2006]. Die Ergebnisse der Phase-III-Studien sind in Tabelle 8.4 zusammengefasst.

Tab. 8.4: Randomisierte Phase-III-Studien bei rezidivierter/refraktärer AML
Literatur N Studiendesign Rate CR DFS Gesamt-
überleben
Kommentar
[Vogler WR 1994] 133 HD-ARA-C vs. HD-ARA-C + VP16 31% vs. 38% (n.s.) 11,9 vs. 25,0 Monate (n.s.) 3,7 vs. 5,2 Monate (n.s.) Kein signifikanter Vorteil durch Hinzunahme von VP16 im Vergleich zu alleinigem HD-ARA-C-Regime.
[Ohno R 1994] 50 Mito/VP16/
ARA-C +
G-CSF vs. + Placebo
54% vs. 42% (n.s.) Kein signifikanter Unterschied k.A. Kein signifikanter Vorteil durch G-CSF.
[Kern W 1998] 186 S-HAM mit HD-ARA-C vs. S-HAM mit ID-ARA-C <60 Jahre: 52% vs. 45% (n.s.) <60 Jahre: 5,3 vs. 3,3 Monate (n.s.) <60 Jahre: 4,2 vs. 5,3 Monate (n.s.) Mit Ausnahme einer signifikant höheren Rate kompletter Remissionen bei primär refraktärer AML bei Patienten unter 60 Jahren (46% vs. 26%) kein Vorteil durch hochdosiertes ARA-C
>/= 60 Jahre: 44% vs. 43% (n.s.) >/= 60 Jahre: k.A. >/= 60 Jahre: k.A.
[Thomas X 1999] 192 EMA + GM-CSF vs. EMA + Placebo 65% vs. 59% (n.s.) 251 vs. 240 Tage (n.s.) 303 vs. 254 Tage (n.s.) Kein signifikanter Vorteil durch GM-GSF
[Liu Yin JA 2001] 235 Std-ADE +/- CsA vs. Seq-ADE +/- CsA

 

3-Jahres-DSF:

3-Jahres-OS:

Standard-ADE mit signifikant besserer Rate kompletter Remissionen und signifikant besserem Gesamt-
überleben; kein Einfluss von CsA auf Rate kompletter Remissionen, krankheits-
freies Überleben und Gesamt-
überleben
Std-ADE vs. Seq-ADE: 54% vs. 33% (p=0,01) Std-ADE vs. Seq-ADE:
22% vs. 14% (n.s.)
Std-ADE vs. Seq-ADE: 12% vs. 6% (p=0,03)
Std.-ADE/
Seq-ADE +/- CsA: 41% vs. 45% (n.s.)
Std-ADE/
Seq-ADE
+/- CsA:
14% vs. 13% (n.s.)
Std-ADE/
Seq-ADE
+/- CsA:
7% vs. 8% (n.s.)
[Milligan DW 2006] 405 FLA +/- G-CSF +/- ATRA vs. ADE +/- G-CSF +/- ATRA

 

4-Jahres-DSF:

4-Jahres-OS:

Kein Einfluss von FLA, G-CSF oder ATRA auf Rate kompletter Remissionen, krankheits-
freies Überleben und Gesamt-
überleben; ADE nicht schlechter als FLA - evtl. sogar Trend für besseres Gesamt-
überleben
FLA vs. ADE:
61% vs. 63% (n.s.)
FLA vs. ADE: 23 vs. 29% (n.s.) FLA vs. ADE: 16% vs. 27% (p=0,05)
FLA/ADE +/- G-CSF: 58% vs. 61% (n.s.) FLA/ADE +/- G-CSF: 31% vs. 28% (n.s.) FLA/ADE +/- G-CSF: 22% vs. 22% (n.s.)
FLA/ADE +/- ATRA: 60% vs. 63% (n.s.) FLA/ADE +/- ATRA: 29% vs. 29% (n.s.) FLA/ADE +/- ATRA: 21% vs. 24% (p=0,09)
ADE Cytosin-Arabinosid (ARA-C), Daunorubicin, Etoposid; ARA-CCytosin-Arabinosid; ATRA All-trans-Retinolsäure;CR komplette Remissionen; CsACiclosporin A; DFS Disease-free survival, krankheitsfreies Überleben; EMA Etoposid, Mitoxantron, Cytosin-Arabinosid (ARA-C); FLAFludarabin, Cytosin-Arabinosid (ARA-C); G-CSFGranulocyte-colony stimulating factor, Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor; GM-CSFGranulocyte-macrophage-colony stimulating factor, Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor;HD-ARA-C Hochdosis-Cytosin-Arabinosid (Hochdosis-ARA-C); ID-ARA-CIntermediate-dose-Cytosin-Arabinosid (Intermediate-dose-ARA-C);k.A. keine Angaben;MitoMitoxantron; NPatientenanzahl; n.s. nicht signifikant;OS Overall survival, Gesamtüberleben;Seq-ADE Sequential-ADE;S-HAMHochdosis-ARA-C-Mitoxantron;Std-ADE Standard-ADE; VP16Etoposid

 

8.6.4 Salvage-Chemotherapie

Obwohl verschiedene Therapieprotokolle in bis zu 80% der Fälle eine erneute Remission induzieren, hat sich bislang kein Salvage-Regime als eindeutig überlegen erwiesen [Ferrara F 2004]. Außerdem ist die CR2-Rate bei refraktären AML und Frührezidiven deutlich geringer als bei Spätrezidiven [Estey E 1996]. Die CR2-Dauer ist generell kürzer als die Dauer der CR1 [Lee S 2000].

Neben Hochdosis-Cytosin-Arabinosid-(HD-ARA-C-)Protokollen mit einer Gesamtdosis von bis zu 24 g/m2 KOF pro Therapiezyklus [Kern W 2000] bzw. Regimes mit kontinuierlicher ARA-C-Infusion (aufgrund der S-Phase-spezifischen Wirkung von ARA-C) [Hänel M 2001] [Lee JH 2006] sind v.a. fludarabinhaltige Regimes mit/ohne G-CSF und mit/ohne Anthrazyklin (FLAG +/- Anthrazyklin) [Jackson GH 2004], die Timed sequential therapy [Archimbaud E 1995], die ARA-C-freie Kombination aus Cyclophosphamid und Etoposid (bei Versagen einer HD-ARA-C-Therapie) [Johny A 2006] sowie Carboplatin- [Bassan R 1998] [Kornblau SM 1998] und Amsacrin-Regimes [Tavernier E 2003] geprüft worden.

8.6.5 Autologe Stammzelltransplantation

Die konsolidierende Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation (SZT) erreicht bei Patienten in erneuter Remission Raten des krankheitsfreien Überlebens von 30-40% [Breems DA 2005b] [Lazarus HM 2006] [O’Donnell MR 2004] bzw. 60-80% (nur APL) [O’Donnell MR 2004]. Für unbehandelte Rezidive (außer mit in CR1 apheresierten Zellen) und bei primär refraktärer AML ist die autologe SZT ungeeignet [O’Donnell MR 2004]. Wichtigste Prognosefaktoren nach autologer SZT sind die CR1-Dauer und die Zytogenetik bei Erstdiagnosestellung [Ferrara F 2004]. Prospektiv randomisierte Studien zum Vergleich autologe SZT vs. allogene SZT (Allo-SZT) bei rezidivierter/refraktärer AML sind nicht verfügbar. Während die geringere transplantationassoziierte Mortalität (Transplantation-related mortality, TRM) und die höhere Rezidivrate nach autologer SZT als gesichert gelten, sind die Daten retrospektiver Analysen bezüglich krankheitsfreiem, ereignisfreiem und Gesamtüberleben widersprüchlich. So fanden sich bei einer Auswertung von 93 Patienten mit rezidivierter/refraktärer AML (52 Non-M3-AML, 41 APL), die auf eine Salvagetherapie mit dem EMA-Regime (Etoposid, Mitoxantron, ARA-C) angesprochen hatten, signifikante Vorteile zugunsten der autologen SZT. Dies betraf das ereignisfreie 3-Jahres-Überleben sowohl bei Non-M3-AML (68% vs. 23%) als auch bei APL (41% vs. 20%). Die TRM-Rate für die Gesamtgruppen war nach autologer SZT ebenfalls signifikant niedriger (11% vs. 47%) [Thomas X 2005]. Eine retrospektive Analyse des CIBMTR (Center for International Blood and Marrow Transplant Research) fand für Patienten in CR2 ebenfalls keine Vorteile für eine allogen-unverwandte (n=273) im Vergleich zu einer autologen SZT (n=179). Während bezüglich des leukämiefreien Überlebens nach 3 Jahren kein Unterschied nachweisbar war (33% vs. 39%; p=0,169), fanden sich im 3-Jahres-Gesamtüberleben signifikante Vorteile zugunsten der autologen SZT (33% vs. 46%; p=0,006) [Lazarus HM 2006]. Demgegenüber zeigen die Daten von Breems, dass die autologe SZT für CR2-Patienten nur dann indiziert ist, wenn eine Niedrigrisikosituation nach EPI vorliegt und kein geeigneter Spender verfügbar ist. Bei Intermediär- oder Hochrisiko war die Allo-SZT signifikant überlegen [Breems DA 2005b]. Insgesamt sollte bei rezidivierter/refraktärer AML eine autologe SZT auf diejenigen Patienten begrenzt bleiben, bei denen Alter, Komorbidität oder das Fehlen eines geeigneten Spenders eine Allo-SZT nicht zulässt [Craddock C 2005]. Bei APL-Patienten in CR2 ist dagegen die autologe SZT zu präferieren. Bei einer retrospektiven Analyse war die 7-Jahres-Gesamtüberlebensrate nach autologer SZT signifikant höher als nach Allo-SZT (60% vs. 52%; p=0,04), während Rezidivfreiheit und ereignisfreies Überleben nicht signifikant differierten [De Botton S 2005].

8.6.6 Allogene Stammzelltransplantation

Die allogene Stammzelltransplantation ist die Therapie der Wahl des AML-Rezidivs [Cornelissen JJ 2005]. Sie ist die effektivste Option zur Konsolidierung einer CR2 [Ferrara F 2004]. Dies gilt für alle Prognosegruppen nach EPI [Breems DA 2005a]. In CR2 sollte die Allo-SZT zügig erfolgen; eine weitere Salvage-Chemotherapie ist ohne Nutzen [Craddock C 2005]. Patienten in CR2 bleiben nach Allo-SZT in 30-50% der Fälle krankheitsfrei [Lazarus HM 2006] [O’Donnell MR 2004]. Eine sofortige allogene Transplantation kann bei unbehandelten Erstrezidiven mit geringem Blastengehalt im Knochenmark erwogen werden [Ferrara F 2004]. Patienten mit unbehandeltem Rezidiv erreichen Raten für das krankheitsfreie Überleben von 10-40%. Dies ist vergleichbar mit den Ergebnissen bei primär refraktärer AML, bei der die Allo-SZT die einzige kurative Therapieoption darstellt [O’Donnell MR 2004].

Die Durchführbarkeit der Allo-SZT wird durch die Verfügbarkeit eines geeigneten Spenders limitiert. So finden sich HLA-A/-B/-DR-identische Spender in 70-80% sowie HLA-A/-B/-C/-DR/-DQ-identische Spender in 35-40% der Fälle [Cornelissen JJ 2005]. Bei fehlendem Spender kommt für junge Patienten auch eine SZT von haploidentischen Spendern infrage [Aversa F 1998].

Die dosisreduzierte Konditionierung (Reduced-intensity Conditioning, RIC) ermöglicht durch im Vergleich zu konventionellen Konditionierungsregimes verminderte TRM-Raten die Allo-SZT auch bei älteren Patienten bzw. bei Komorbidität. Eine retrospektive EBMT-Analyse von Aoudjhane zur Frage RIC vs. konventionelle Konditionierung zeigte bei Patienten in CR2 (n=104) bzw. mit fortgeschrittener AML (n=202), dass die RIC mindestens gleichwertig ist. Die Häufigkeit einer akuten Graft-versus-Host-Erkrankung (Grade II-IV) und die TRM-Rate waren nach RIC signifikant geringer. Allerdings kam es zu deutlich mehr Rezidiven nach RIC (p=0,04 bei CR2-Patienten; p=0,06 bei fortgeschrittener AML). Bezüglich des leukämiefreien und des Gesamtüberlebens fanden sich jedoch keine Unterschiede [Aoudjhane M 2005].

Der Remissionsstatus vor Transplantation bleibt auch bei allogener SZT der wichtigste Prognosefaktor. Ein ungenügender Remissionsstatus und die damit verbundene hohe Tumormasse (hoher Blastengehalt im Knochenmark, Ausschwemmung von Blasten in das periphere Blut) führen zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Prognose allogen transplantierter Patienten mit rezidivierter oder refraktärer AML [Biggs JC 1992] [Grigg AP 1999] [Michallet M 2000] [Sierra J 1997] [Stelljes M 2005] [Wong R 2005]. Weitere ungünstige Faktoren sind Leukämien mit Hochrisiko-Karyotyp [Cook G 2006] [Fung HC 2003], eine umfangreiche Vortherapie [Biggs JC 1992] [Schmid C 2006] sowie ein höheres Alter und/oder ein schlechter Allgemeinzustand des Patienten [Biggs JC 1992] [Grigg AP 1999] [Michallet M 2000] [Wong R 2005]. Bezüglich des Transplantats sind eine HLA-Imkompatibiltät (Mismatch-Transplantation) [Michallet M 2000] [Sierra J 1997], Stammzellen eines unverwandten [Cornelissen JJ 2005] [Fung HC] [Michallet M 2000] bzw. männlichen Spenders [Michallet M 2000] und Transplantate mit einer niedrigen CD34-Zahl [Schmid C 2006] [Sierra J 1997] mit schlechteren Ergebnissen verbunden. Dies gilt ferner für das Auftreten einer höhergradigen akuten Graft-versus-Host-Erkrankung [Michallet M 2000] [Schmid C 2006] sowie das Fehlen einer chronischen Graft-versus-Host-Erkrankung [Grigg AP 1999] [Michallet M 2000].

8.6.7 Rezidive nach autologer oder allogener Stammzelltransplantation

Patienten mit Rezidiv nach Transplantation haben eine sehr ungünstige Prognose. Dies gilt insbesondere bei Rezidiven innerhalb von 6 Monaten nach autologer [Ringden O 2000] bzw. allogener SZT [Eapen M 2004].

Beim Rezidiv nach autologer SZT können sowohl eine Allo-SZT als auch (bei fehlendem Spender und Erreichen einer erneuten CR) die autologe Re-Transplantation erfolgen. Für beide Optionen sind Gesamtüberlebensraten von etwa 40% nach 2 Jahren beschrieben [Ringden O 2000]. Wegen des nach autologer SZT fehlenden Graft-versus-Leukemia(GvL)-Effekts, der in den letzten Jahren sinkenden TRM (durch dosisreduzierte Konditionierungen und verbesserte supportive Möglichkeiten) und der zunehmend besseren Verfügbarkeit HLA-kompatibler Spender erscheint es jedoch sinnvoll, beim Rezidiv nach autologer SZT eine allogene Transplantation zu bevorzugen.

Für Rezidive nach allogener SZT ist die Gabe von alloreaktiven Spenderlymphozyten (Donorlymphozyteninfusion, DLI; s. Kap. 8.5) bzw. die allogene Re-Transplantation (gleicher oder neuer Spender) zu prüfen. Eine DLI im Rezidiv nach Allo-SZT ist mit CR-Raten von 15-42% verbunden; langfristig krankheitsfrei bleiben jedoch nur 10-20% der Patienten [Porter DL 2003]. Für die Kombination einer intensiven Chemotherapie mit nachfolgender DLI werden CR-Raten von 47-63%, eine anhaltende CR in 19-25% der Fälle und 2-Jahres-Überlebensraten von 19-31% beschrieben [Choi SJ 2004][Levine JE 2002]. Erneute Rezidive nach DLI treten nicht selten extramedullär auf [Choi SJ 2004]. Wichtigster Prognosefaktor für die Kombination aus Salvagetherapie und DLI ist eine Remissionsdauer von mindestens 6 Monaten nach allogener Ersttransplantation [Choi SJ 2004][Levine JE 2002].

Die allogene Zweittransplantation (Re-Transplantation) ist eine Option für jüngere Patienten bzw. solche mit geringer Komorbidität. Als Transplantat kommen Stammzellen des gleichen oder eines neuen Spenders infrage. Werden Zellen des gleichen Spenders transplantiert, so ist die Prohylaxe einer Graft-versus-Host-Erkrankung bezüglich Intensität und/oder Dauer zu reduzieren. Ein leukämiefreies Überleben wird nach allogener Re-Transplantation in etwa 15-34% der Fälle erreicht [Bosi A 2001] [Eapen M 2004] [Hosing C 2005] [Kishi K 1997]. Das Gesamtüberleben nach allogener Re-Transplantation beträgt median 6-8 Monate [Hosing C 2005] [Kishi K 1997]; etwa 14-38% der Patienten überleben langfristig [Bosi A 2001] [Eapen M 2004] [Hosing C 2005]. Jedoch ist eine relativ hohe TRM-Rate von 30-46% zu berücksichtigen [Bosi A 2001] [Eapen M 2004] [Hosing C 2005]. Wichtigster Prognosefaktor ist die CR-Dauer nach Ersttransplantation (>6-12 Monate) [Bosi A 2001] [Eapen M 2004] [Hosing C 2005] [Kishi K 1997]. Weiterhin ist das Erreichen einer CR vor allogener Zweittransplantation mit besseren Langzeitergebnissen verbunden [Bosi A 2001] [Eapen M 2004] [Kishi K 1997].

Eine rein konventionelle Salvagetherapie ist für Rezidive nach autologer oder allogener SZT bis auf extrem seltene Ausnahmen nicht kurativ.

8.6.8 Neue Substanzen

Angesichts der bislang unbefriedigenden Therapieergebnisse bei Patienten mit rezidivierter/refraktärer AML werden seit Jahren verschiedene neue Strategien und Substanzen geprüft. Hierzu gehören z.B. neue Zytostatika und Immuntoxine (Clofarabin, Arsentrioxid, Gemtuzumab Ozogamicin). Diese werden, da sie bereits Zulassungsreife erreicht haben, nachfolgend kurz besprochen. Bezüglich aller anderen neuen Substanzen mit neuen therapeutischen Targets wird auf Kap. 8.2 verwiesen.

Clofarabin

Clofarabin ist ein Zweitgenerationspurinanalogon [Faderl S 2005a], welches resistent gegenüber einer Spaltung durch die Purinnukleotidphosphorylase und einer Deaminierung durch die Adenosindeaminase ist [Tallman MS 2005]. Mittels Phosphorylierung durch die Deoxycytidinkinase entsteht die therapeutisch wirksame Triphosphatform. Clofarabin hemmt die DNA-Polymerase und die Ribonukleotidreduktase, induziert eine Apoptose und wirkt durch Erhöhung der intrazellulären ARA-C-Triphosphat-Konzentration synergistisch mit ARA-C [Faderl S 2005a]. Bei 31 Patienten mit rezidivierter/refraktärer AML wurde in einer Phase-II-Studie eine CR-Rate von 42% bzw. ein Gesamtansprechen von 55% beschrieben [Kantarjian H 2003]. In der Phase-I/II-Studie zur Kombination mit ARA-C (n=25) betrug die CR-Rate 28%, und das Gesamtansprechen lag bei 40% [Faderl S 2005b].

Gemtuzumab Ozogamicin (GO)

GO ist ein Anti-CD33-Immuntoxin, bestehend aus einem humanisierten monoklonalen Anti-CD33-Antikörper und dem zytotoxisch wirksamen Antibiotikum Calicheamicin [Sievers EL 1999]. Bei 277 Patienten mit einer GO-Monotherapie im ersten Rezidiv wurden 35 CR (13%) sowie 36 CR ohne vollständige Thrombozytenerholung (13%) erreicht. Leukämiefreies und Gesamtüberleben betrugen im Median 5,2 bzw. 4,9 Monate [Larson RA 2005]. Für die Kombination von GO mit einer Chemotherapie sind CR-Raten von bis zu 28% und ein Gesamtansprechen von 18-43% beschrieben [Tsimberidou AM 2005]. Patienten mit refraktärer AML erreichen nach GO-Gabe schlechtere Ergebnisse als Rezidivpatienten [Stone RM 2004]. Bei transplantierten Patienten kommt es in 5-10% der Fälle zu einer Venenverschlusskrankheit der Leber [Tsimberidou AM 2005]. Besonders ermutigend sind die Ergebnisse mit GO bei (molekularen) APL-Rezidiven. Dies gilt auch für All-trans-Retinolsäure- und arsentrioxidrefraktäre APL-Rezidive, wenn diese kein p-Glykoprotein exprimieren [Takeshita A 2005].

Arsentrioxid

Arsentrioxid ist das Mittel der Wahl bei APL-Rezidiven mit einer CR2-Rate von 80-90%, wobei zu über 70% molekulare Remissionen erreicht werden [Leoni F 2002] [Soignet SL 2001]. Bei moderater Toxizität schafft Arsentrioxid damit die Voraussetzung dafür, dass die Mehrzahl der APL-Rezidivpatienten eine konsolidierende autologe oder allogene SZT erhalten können.

8.6.9 Palliative Therapie

Bei Patienten mit rezidivierter/refraktärer AML ohne kurative Optionen hat eine effektive palliative Behandlung einen hohen Stellenwert; sie sollte weitgehend im ambulanten Bereich erfolgen. Neben der Prophylaxe und der Therapie infektiöser Komplikationen zählt hierzu eine adäquate Versorgung mit Blutprodukten, um ausgeprägte Anämiesymptome sowie Blutungen zu vermeiden. Bei hohen Leukozytenzahlen mit rascher Proliferation empfiehlt sich eine Zytoreduktion. Diese kann entweder oral mit Hydroxyurea, Etoposid, Tioguanin oder 6-Mercaptopurin bzw. subkutan mit niedrigdosiertem ARA-C durchgeführt werden. Auch i.v. Monotherapien in regelmäßigen Abständen oder bei Anstieg der Blastenzahlen, z.B. mit Mitoxantron (10 mg/m2KOF) oder ARA-C (1 g/m2KOF), sind ambulant möglich.

Bei ONKODIN publiziert in Kooperation mit "Deutscher Ärzte-Verlag" (Publikation als Buch)
Deutscher Ärzte-Verlag  Deutscher Ärzte-Verlag
und in Kooperation mit "Studien-Allianz Leukämie"
Deutscher Ärzte-Verlag  Studien-Allianz Leukämien
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