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8.9 Akute Promyelozytenleukämie (APL; M3-Leukämie)

Autor/en: H. Link
Letzte Änderung: 01.07.2008

8.9.1 Definition

Die akute Promyelozytenleukämie (APL) wird nach der FAB-Klassifikation als "M3-Leukämie" bezeichnet und in der WHO-Definition der Gruppe der akuten myeloischen Leukämien (AML) mit wiederkehrenden zytogenetischen Abnormalitäten zugeordnet, und zwar als "akute Promyelozytenleukämie mit t(15;17)(q22;q12), (PML/RARα) und Varianten" (vgl. Kap. 2 und 6.2).

Die APL zeichnet sich morphologisch durch Blasten mit ausgeprägter Granulation aus, die an Promyelozyten erinnern. Diese Granula enthalten prokoagulatorische Substanzen, die für die Gerinnungsstörung bei APL verantwortlich sind. Zahlreiche Auer-Stäbchen sind zu finden. Mittels einer gründlichen lichtmikroskopischen Suche entdeckt man oft mittelgroße bis große Zellen mit Bündeln von Auer-Stäbchen, die sog. Faggot cells. Einige Blasten weisen einen typischen bilobären Kern auf, der auch für die mikrogranuläre Form charakteristisch ist, bei der die starke Granulation fehlt (M3v) und die azurophilen Granula lichtmikroskopisch nicht erkennbar sind (s. Kap. 6, Abb. 6.4 und 6.6). Selten sind diese Granula basophil oder eosinophil.

Zytogenetisch ist die APL durch eine balancierte Translokation t(15;17) charakterisiert, mit der Bildung des Fusionsgens PML/RARα (Promyelozyten-/Retinsäurerezeptor α), molekulargenetisch durch den Nachweis des PML/RARα-Proteins als Produkt des Fusionsgens.

Klinisch besteht eine gesteigerte hämorrhagische Diathese durch eine Gerinnungsstörung, die auch bei ansonsten unkritischen Thrombozytenzahlen zu plötzlichen tödlichen Blutungen führen kann, z.B. im Gehirn oder in der Lunge (s. unten).

8.9.2 Historie und Epidemiologie

Die Assoziation eines ausgeprägten hämorrhagischen Syndroms mit bestimmten Leukämien wurde durch französische Hämatologen im Jahre 1949 beschrieben; 1957 beschrieb Hillstadt die akute Promyelozytenleukämie als Subtyp der AML [Hillestad LK 1957] [Liesveld JL 2006] [Sanz MA 2006]. Es besteht eine gleichmäßige Inzidenz über alle Altersstufen.

Die APL ist ein Paradebeispiel dafür, wie entscheidende Mechanismen der Leukämogenese entdeckt wurden und wie innovative Behandlungen einschließlich Differenzierungsinduktion diese einst rasch tödlich verlaufende Leukämie zu einer häufig heilbaren Erkrankung werden ließen [Fenaux P 2000].

8.9.3 Ätiologie und Inzidenz

Ethnische oder Umweltfaktoren spielen bei der Entstehung der APL eine Rolle. Diese AML-Variante betrifft etwa 10% der AML-Fälle, mit einer höheren Inzidienz bei Latinos in Zentral- und Südamerika sowie in Spanien [Douer D 1996] [Otero JC 1996].

Frauen mit Mammakarzinom oder Tumoren der Reproduktionsorgane machen 70% der Patienten mit sekundären APL aus, obwohl einige nur eine Strahlentherapie, eine Hormonbehandlung oder eine Operation erhalten hatten. Das bedeutet, dass Brustkrebs das Risiko für eine APL erhöht [Beaumont M 2003] [Pulsoni A 2002].

8.9.4 Molekulare Pathogenese

Eine Translokation zwischen dem Chromosom 17 und anderen Chromosomen ist für fast alle Formen der APL und die APL-Transformation der chronischen myeloischen Leukämie typisch [Lo-Coco F 2006]. Bei über 95% der Fälle besteht eine reziproke Translokation t(15;17)(q22;q11-12), die zu einer Fusion des promyelozytischen Gens (PML) auf Chromosom 15 und des Retinoid-Acid-Rezeptor-α-(RARα-)Gens auf Chromosom 17 führt. Abhängig von der Bruchpunktlokalisation im PML-Gen ergeben sich die PML-RARα-Transkripte bcr1, bcr2 und bcr3. Bcr1 und bcr2 haben eine ähnliche Größe und werden als Long-(L-)Isoformen sowie bcr2 als variable (V-) und bcr3 als Short-(S-)Isoformen bezeichnet.

Die PML-RARα-Fusion kann mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) oder mit Hilfe der Reversen-Transkriptase-Polymerasekettenreaktion nachgewiesen werden.

Alternative Fusionspartner können das Promyelocytic-leukemia-zinc-finger-(PLZF-)Gen, das Nukleophosmingen (NPM), das Nuclear-mitotic-apparatus-(NUMA-)Gen und das STAT5b-Gen betreffen. Dies kann therapeutisch bedeutsam sein, z.B. für die Sensitivität gegenüber All-trans-Retinolsäure (All-trans retinoid acid, ATRA), die bei der Beteiligung des PZLF-Gens nicht besteht.

RARα gehört zur Familie der nukleären Retinsäure-(Retinoid-acid-, RA-)Rezeptoren, die als ligandeninduzierbare Transkriptionsfaktoren wirken, indem sie an spezifische Response-Elemente (RARE) in der Promotorregion der Zielgene binden. Ohne einen Liganden bildet RARα Heterodimere mit dem Retinoid-X-Rezeptor (RXR) und rekrutiert einen Ko-Repressorkomplex mit Histon-Deacetylase-(HDAC-)Aktivität, der Chromatinkondensation und Transkriptionsrepression induziert. Physiologische Konzentrationen von RA (1x 10-9 M) sind in der Lage, den nukleären Ko-Repressorkomplex (HD-NCR) von RAR-RXR zu lösen und Ko-Aktivatoren mit Histon-Acetyltransferase-Aktivität (HAT) zu rekrutieren. Dies führt zu einer Hyperacetylierung von Histonen an den RARE-Bindungsstellen, zum Chromatin-Remodeling und zur Transkriptionsaktivierung von RARα-Zielgenen (s. Abb. 8.13).

AML_8_Therapie_Abb_8-13a-c.jpg

Abb. 8.13a–c: Leukämogener Effekt des Promyelozyten-/Retinsäurerezeptors α(PML-RARα) sowie Mechanismen der Wirkung von All-trans-Retinolsäure (ATRA) und Arsentrioxid (ATO) in Zellen bei APL (Erläuterungen im Text).
a) Physiologischer Zustand von RARα und Effekt von Retinsäure (RA). Ohne RA rekrutieren Retinsäurerezeptor α(RARα)/Retinsäure-X-Rezeptor(RXR)-Heterodimere den Transkriptions-Ko-Repressor (CoR), der die Transkriptionshemmung durch direkte Hemmung der basalen Transkriptionsmaschine und Rekrutierung von chromatinmodifizierenden Enzymen vermittelt. Die Chromatinmodifikation schließt auch die Histon-Deacetylierung ein, die zu einer kompakten Chromatinstruktur führt, welche den Zugang von Transkriptionsfaktoren behindert. Bei physiologischen RA-Konzentrationen (10–9 bis 10–8 M) wird der Transkriptions-Ko-Repressor freigesetzt, und der Ko-Aktivator wird an das RARα/RXR-Heterodimer angeheftet. Daraus resultieren die Histon-Acetylierung (AC) und die Überwindung der blockierten Transkription. CoA Coenzym A;
b) Wirkung des PML-RARα-Fusionsproteins. Das PML-RARα-Fusionsprotein bindet selbst an RARα-Zielgene oder über RXR und rekrutiert dann Ko-Repressoren, die zur Repression der Transkription und zur Hemmung der myeloischen Differenzierung führen. Das PML-RARα-Onkoprotein sequestriert normales RXR und PML, hemmt den PML/p53-Apoptoseweg und entfernt PML und andere Proteine vom Kernkörper. PML-RARα kann auch Interferon- und andere Signalwege beeinflussen. Zusätzliche Abnormalitäten bei Proteintyrosinkinasen (z.B. FLT3, c-fms) können mit PML-RARα zusammenwirken und die APL auslösen
c) Wirkung von ATRA (rot) und ATO (blau). Mit pharmakologischen Dosen von ATRA oder ATO wird PML-RARα über caspasen- und proteasenabhängige Wege degradiert. Der Abbau von PML-RARα kann die Transkriptionssuppression de-reprimieren und den PML-Kernkörper wiederherstellen. Die Blockade weiterer Signalwege wird ebenfalls aufgehoben, und der antiapoptotische Effekt von PML-RARα geht verloren. ATRA induziert auch zyklisches AMP (cAMP), das die Ruhigstellung von RXR umkehrt, die Expression von RA-induzierten Genen und der Zyklooxygenase 1 (Cox 1)auslöst, die Angiogenese hemmt und den Gewebefaktor herunterreguliert. Infolgedessen induziert ATRA eine terminale Zelldifferenzierung, während ATO eine partielle Differenzierung und/oder Apoptose von APL-Zellen auslöst.
Aus [Zhou GB et al. 2005]. AF2 ligandenabhängige transkriptionsaktivierende Domaine, die in der C-terminalen E-Domäne von RARα enthalten ist; hit Störung; RARE Retinoid acid receptor response element; SUG-1 Teil des Proteasom-19S-Komplexes, der sich mit der aktivierten AF2-Domäne von RARα verbinden kann.

PML gehört zur Proteinfamilie mit spezifischer Zinkbindungsdomäne (Ring-Finger). PML kontrolliert p53-abhängige Apoptose-Induktion, Wachstumssuppression und Zellalterung bei ionisierender Strahlung und onkogener Transformation. Außerdem wird PML bei der Transkriptionsrepression benötigt, die durch andere Tumorrepressoren vermittelte wird, z.B. durch Rb und Mad.

Im Zellkern kann PML in Multiproteinkomplexen nachgewiesen werden. Als Folge der PML-RARα-Fusion in APL-Zellen ist PML zerrissen und mittels Immunfärbung kleinfleckig im Kern nachweisbar, was zur raschen Diagnostik nutzbar ist.

Das PML-RARα-Protein fungiert als aberranter Retinoidrezeptor mit veränderten DNA-Bindungseigenschaften im Vergleich zum normalen RARα und als Repressor der RA-Signalisierung. Außerdem bindet PML-RARα DNA-methylierende Enzyme, wodurch RA-Zielpromotoren methyliert werden.

PML-RARα dimerisiert mit RXR, PML und anderen PML-RARα-Proteinen zu einem chimären Protein. Eine Deacetylierung der Histone hält das Chromatin in einem für die Transkriptionsmaschinerie unzugänglichen Zustand (s. Abb. 8.13) [Zhou GB 2005].

Im Unterschied zum Wildtyp-RARα kann die Repression durch nicht an Liganden gebundenes PML-RARα nur durch pharmakologische Dosen von ATRA (10-6 M) gelöst werden, weil das PML-RARα-Hybrid mit höherer Affinität an den HDAC-rekrutierenden Ko-Repressor-Komplex bindet. Insgesamt wirkt PML-RARα über verschiedene Mechanismen als konstitutiver und potenter Transkriptionsrepressor der RARα-Zielgene.

Bei Patienten mit der Variante t(11;17) und PLZF-RARα-Fusion entsteht eine zusätzliche Ko-Repressor-Komplexbindungsstelle, die zu einer stärkeren Transkriptionsrepression und zur Resistenz gegenüber pharmakologischen Dosen von RA führt. In diesen Fällen konnte in vitro mit HDAC-Inhibitoren die Sensitivität gegenüber RA wiederhergestellt werden.

Einfluss von PML-RARα auf die Krankheitsmanifestation und Bedeutung für die zielgerichtete (targeted) Therapie: PML-RARα ist nicht nur ein Ziel (Target) für ATRA, sondern das PML-RARα-Protein ist auch ein Ziel von Arsentrioxid (ATO; s. unten und Abb. 8.13).

8.9.5 Immunphänotypische und molekulare Charakterisierung

Die APL-Blasten exprimieren an der Zelloberfläche CD33 und CD117 sowie unregelmäßig HLA-DR und CD34. Sie exprimieren nicht CD7, CD11a, CD11b, CD14 und CD18.

Die mikrogranuläre Form (M3v) kann aberrant das T-Zell-Epitop CD2 exprimieren und dann mit einer ausgeprägten Leukozytose einhergehen.

Typisch ist die fehlende oder nur geringe Expression von Proteinen, die mit der Multi drug resistance (MDR) korrelieren. Mutationen des FLT3-Gens mit interner Tandemduplikation (ITD) der juxtamembranären Domäne und Punktmutationen in der Tyrosinkinase-II-Domäne kommen in 45% der Fälle vor. Beide Mutationen sind mit höheren Leukozytenzahlen korreliert. Die FLT3-ITD-Mutation korreliert mit dem M3v-Subtyp und dem S-Typ des PML-RARα-Proteins. FLT3-Mutationen sind mit einer Krankheitsprogression verbunden [Lo-Coco F 2006].

8.9.6 Klinische Bedeutung der genetischen Diagnosestellung

Die genetische Diagnosestellung der APL ist für die Behandlung der Patienten wesentlich, auch wenn die Diagnose durch die typische Morphologie bereits feststeht: Es können seltene Varianten ohne Beteiligung von PML ausgeschlossen werden, die nicht auf die ATRA-Therapie ansprechen, und die Verlaufskontrolle der Erkrankung mittels Reverse-Transkriptase-Polymerasekettenreaktion (RT-PCR) kann über die genaue Bestimmung der PML-RARα-Isoformen erfolgen [Grimwade D 2000].

Auch die atypische APL mit Mikrogranula (M3v) kann sicher diagnostiziert werden.

8.9.7 Diagnostik

Morphologie

Die typische zytologische Morphologie bei t(15;17) ist in Kapitel 6.2. beschrieben. Leukämische Promyelozyten sind bei der Myelpoperoxidase- und der Sudan-Schwarz-Färbung sehr stark positiv. Andere Translokationen wie t(11;17) bei APL können morphologisch zu differierenden Befunden führen, die dadurch auch den Impuls zur erweiterten molekularen Diagnostik geben können (s. Kap. 6.2) [Sainty D 2000].

Die APL-spezifischen Genveränderungen können auf der chromosomalen DNA, auf der RNA und auf Proteinebene nachgewiesen werden. Dazu werden Zytogenetik, FISH, RT-PCR und monoklonale Anti-PML-Antikörper verwendet. RT-PCR und FISH haben den Vorteil, dass sich nicht teilende Zellen untersucht werden können und Ergebnisse auch bei solchen Patienten erzielbar sind, bei denen wegen nur weniger Metaphasen die klassische Zytogenetik nicht ausreichend ist oder bei denen die klassische Translokation t(15;17) fehlt und PML-RARα durch kryptische oder komplexe Rearrangements entsteht [Grimwade D 2000]. Die molekularbiologische Diagnostik sollte auf etablierten Standards basieren [Gabert J 2003].

PML-spezifische Antikörper können bei der indirekten Immunfluoreszenz oder bei der Immunzytochemie eingesetzt werden. Damit lässt sich im Zellkern die mikrogranuläre Verteilung von PML bei PML-RARα von den "Nuclear bodies" anderer Leukämien oder normaler hämatopoetischer Zellen abgrenzen. Der Test ist innerhalb von 2 Stunden durchführbar [Sanz MA 2005b]. Der PML-Nachweis ersetzt keinesfalls den Nachweis des PML-RARα-Hybridgens bei der Diagnosestellung.

Die Immunphänotypisierung der APL-Blasten ist weiter oben beschrieben.

Charakteristische Laborbefunde

Die mikrogranuläre APL (M3v) ist signifikant mit dem bcr3-Transkript (S-Isoform) von PML-RARα korreliert [Schnittger S 2003]. Das S-Transkript korreliert außerdem mit einer Hyperleukozytose sowie einer CD34 und CD2 Antigenexpression [Pulsoni A 2002]. Die APL mit der Translokation t(11;17) und dem PLZF-RARα-Fusionsprotein kann häufiger CD56 exprimieren.

Klinische Befunde

Die Patienten haben oft eine ausgeprägte Blutungsneigung mit Hämoptysis, Hämaturie, vaginaler Blutung, Meläna, Hämatemesis, pulmonalen und intrakraniellen Blutungen sowie typischen ausgeprägten Hämatomen an der Haut und Schleimhautblutungen. Aber auch Thrombosen kommen vor. Bei Patienten mit Leukozytopenie können Blasten im Blut fehlen.

8.9.8 Prognose

Nach der Induktions- und Konsolidationstherapie mit ATRA und Zytostatika zeigt sich, dass persistierende PML-RARα-Transkripte bei der RT-PCR mit einem nachfolgenden hämatologischen Rezidiv und negative Tests mit einer lang anhaltenden Remission korrelieren [Sanz MA 2005b].

Patienten mit der S-Isoform von PML-RARα haben ein kürzeres krankheitsfreies Überleben und ein geringeres Gesamtüberleben als Patienten mit der L-Isoform [Jurcic JG 2001] [Schnittger S 2003].

Die quantitative Polymerasekettenreaktion (Q-RT-PCR) zum Monitoring nach der Therapie ermöglicht bisher am besten, die Patienten mit dem Risiko eines hämatologischen Rezidivs zu identifizieren [Schnittger S 2003].

8.9.9 Therapie

Therapieziele

Das oberste Ziel ist das Erreichen einer molekularen Remission, d.h. kein Nachweis von PML-RARα bei der RT-PCR [7], wobei dies für die Polymerasekettenreaktion mit geringer Sensitivität gilt (d.h. Nachweisgrenzen von 10-3 und 10-4). Der optimale Zeitpunkt ist ein Monat nach Ende der Konsolidation, d.h. nach 3-4 Therapiezyklen mit ATRA und Chemotherapie. Frühere Zeitpunkte sind für die Prognoseabschätzung mittels PML-RARα-Nachweis nicht sinnvoll [Sanz MA 2005b].

Molekulare Beurteilung der Therapie

Neuere Studien zeigen einen Vorteil der risikoadaptierten Therapie [Sanz MA 2005b] [Tallman MS 2002]. Die Therapie kann mit Hilfe des molekularen PML-RARα-Status individualisiert werden, sodass Patienten identifizierbar sind, die entweder eine zusätzliche intensivere Therapie benötigen oder auch mit einer weniger intensiven Therapie gut behandelt sind und dadurch eine unnötige Toxizität vermeiden können.

Medikamente

Die APL ist sehr empfindlich gegenüber der Anthrazyklintherapie mit Daunorubicin oder Idarubicin. Die Vollremissionsraten liegen bei 55-88% und sind mit denen der typischen AML-Kombinationschemotherapie mit zusätzlichem Cytarabin vergleichbar. Eine Vergleichsstudie mit und ohne Cytarabin aus der Ära vor All-trans-Retinolsäure (ATRA) zeigte keinen signifikanten Unterschied.

Die Verwendung von ATRA als nicht zytotoxisches Medikament, das zur Differenzierung der malignen Zellen führt, gilt als erster Nachweis der zielgerichteten Therapie (Targeted therapy), die zu einer dramatischen Verbesserung der Behandlung und der Prognose der APL geführt hat [Fenaux P 1993] [Fenaux P 1999] [Huang ME 1988] [Warrell RP Jr 1991]. Erste Studien erfolgten durch das Shanghai Institut für Hämatologie [Huang ME 1988] [Zhou GB 2005]. Neuerdings wird auch Arsentrioxid (ATO) als sehr wirksame Substanz zusätzlich verwendet [Sanz MA 2006], das bei APL ebenfalls durch Ärzte in China erstmalig eingesetzt wurde [Shen ZX 1997] [Zhou GB 2005].

Mehrere große Multicenterstudien ergaben, dass eine kombinierten ATRA- und Antrazyklintherapie bei über 70% der Patienten mit neu diagnostizierter APL zu Langzeitremissionen und möglicher Heilung führt [Fenaux P 1993] [Fenaux P 1999] [Mandelli F 1997] [Sanz MA 1999] [Sanz MA 2006] [Tallman MS 1997].

Wirkung von ATRA

Anders als Zytostatika induziert ATRA eine terminale Differenzierung von Leukämiezellen entlang der granulozytäre Zellreihe [Breitman TR 1981]. ATRA wirkt dabei über 2 Mechanismen. Zunächst dissoziiert ATRA den Ko-Repressor vom PML-RARα-RXR-Komplex und rekrutiert Ko-Enzym A, wodurch Zielgene transkribiert werden. Zweitens reguliert ATRA den cAMP-PKA-Signalweg, der ebenfalls zur Transkriptionsaktivierung und schließlich zur Differenzierung der APL-Zellen führen kann. Außerdem kann ATRA das PML-RARα-Onkoprotein modulieren und degradieren (s. auch Abb. 8.14).

Mehrere klinische Studien zeigten, dass mit der ATRA-Differenzierungstherapie in Kombination mit einer Chemotherapie eine Vollremissionsrate von 92-95% erreicht werden kann, außerdem eine rasche Verbesserung der Blutungsneigung [Sanz MA 2006] [Warrell RP Jr 1991]. Ein Drittel der Patienten erleidet ein Rezidiv, sodass weitere Verbesserungen der Therapie erforderlich sind.

Genveränderungen und Therapie

Die S-Isoform von PML-RARα spricht auf eine Monotherapie mit ATRA schlechter an als die L-Isoform. In der Kombination mit einer Chemotherapie war dieser Effekt nicht mehr signifikant, obwohl sich ein Trend erkennen ließ. Allerdings wurde nicht zwischen den bcr1- und brc2-Isoformen diskriminiert [Sanz MA 2005b].

Erworbene Punktmutationen des PML-RARα-Hybrids kommen bei 30% der Patienten mit Rezidiv unter einer ATRA-Therapie vor [Zhou DC 2002], es können aber auch mutierte Zellklone beim Rezidiv ohne frühere ATRA-Therapie auftreten [Gallagher RE 2006]. Diese Mutationen kommen in der Ligandenbindungsdomäne der RARα-Region vor und können die RA-Bindung sowie die Genregulation reduzieren.

Wirkung von Arsentrioxid (AS2O3, ATO)

ATO wurde als wirksame Substanz der traditionellen chinesischen Medizin zur Therapie der APL wiederentdeckt [Shen ZX 2004]. Es hemmt irreversibel die selenocysteinabhängige Thioredoxinreduktase (TrxR) durch C- und N-terminale Bindung. Das führt zur Oxidation von TrxR und zur zellulären Apoptose [Lu J 2007] [Shen ZX 2004].

ATO übt seinen dualen Effekt dosisabhängig aus. Eine niedrige Dosierung (<0,5 µM) führt zur Differenzierung der APL-Zellen, was mit den PML-RARα-RXR- und den cAMP-PKA-Signalwegen interagiert und schließlich zur Histon-Acetylierung führt (s. Abb. 8.13) [Zhou GB 2005].

Eine hohe Dosis von ATO führt durch eine Verminderung des mitochondrialen Transmembranpotenzials zur Apotose. Bemerkenswert ist, dass ATO das PML-RARα-Onkoprotein in einem weiten Konzentrationsbereich modulieren und/oder degradieren kann [Shen ZX 2004]. ATO inhibiert auch indirekt die Angiogenese, und zwar durch Down-Regulation des Vascular endothelial growth factor (VEGF), indem Leukämie- und Endothelzellen in die Apoptose übergehen [Roboz GJ 2000]. ATO ist noch nicht in der Primärtherapie etabliert und wird derzeit in Therapiestudien untersucht, u.a. von der DSIL/SAL in Kooperation mit der GIMEMA (s. unten).

Primäre Induktionstherapie

Die Therapie muss wegen der möglichen letalen Komplikationen und der potenziell kurativen Behandlung unverzüglich begonnen werden, bevor die genetische Diagnose vorliegt. Die Krankheit ist als Notfall einzustufen, mit sofortigem Beginn der supportiven Therapie (s. unten).

Risikogruppen: Im Rahmen einer gemeinsamen Analyse der GIMEMA- und PETHEMA-Studien konnten nach den Leukozyten- und Thrombozytenzahlen 3 Risikogruppen identifiziert werden [Sanz MA 2000]:

  • niedriges Risiko:
    - Leukozytenzahl: =/< 10 000/µl
    - Thrombozytenzahl: > 40 000/µl
  • mittleres Risiko:
    - Leukozytenzahl: =/< 10 000/µl
    - Thrombozytenzahl: =/< 40 000/µl
  • hohes Risiko: Leukozytenzahl: > 10 000/µl

Kriterien wie "APL mit zusätzlichen chromosomalen Aberrationen", "CD56-Expression" und "S-Isoform von PML-RARα" sind prognostisch nicht ungünstig und verlangen bei der Induktionstherapie keine Modifikation [Sanz MA et al. 2005b].

Standard ist die Kombination von ATRA mit einer Chemotherapie [Fenaux P 1999] [Mandelli F 1997] [Sanz MA 2005b]. Die Ergebnisse sind besser, wenn ATRA und Chemotherapie simultan gegeben werden [Sanz MA 2006]. Ob Idarubicin oder Daunorubicin effektiver ist, kann bei APL nicht sicher festgestellt werden, da es keine direkte Vergleichsstudie gibt [Sanz MA 2006].

Postremissionstherapie (Konsolidationstherapie)

Mit mindestens 2 anthrazyklinhaltigen Konsolidationstherapien können molekulare Remissionen bei 90-99% der Patienten erreicht werden, sodass dies der therapeutische Standard ist [Sanz MA 2005b]. Es wird derzeit in Studien versucht, eine risikoadaptierte Therapie zu definieren.

ATRA: Obwohl es keine vergleichende Studie zur Wirksamkeit von ATRA zusätzlich zur Chemotherapie in der Konsolidationsphase gibt, zeigen sukzessive historische Studien, dass die Gabe von ATRA über 15 Tage in einer Dosis von 45 mg/m²KOF bei Erwachsenen die Ergebnisse verbessert [Lo-Coco F 2004a] [Sanz MA 2004a]. Wenn ATRA zusätzlich zu Cytarabin verwendet wird, verbessert dies bei Hochrisikopatienten die Prognose [Lo-Coco F 2004a].

Cytarabin: Seit der Ersttherapie mit Daunorubicin ist die Rolle von Cytarabin bei APL umstritten. Mit zusätzlichem Cytarabin zu Daunorubicin war die Vollremissionsrate in einer französischen Studie nicht höher, jedoch die Rate der Langzeitremissionen [Ades L 2006]. Allerdings können Auswahl und Dosis des Anthrazyklins in dieser Studie entscheidend gewesen sein, sodass dieses Ergebnis nur im Zusammenhang mit diesem Studienprotokoll gesehen werden kann. Andere Studien verwendeten andere Anthrazykline und höhere vergleichbare kumulative Dosen. Eine gemeinsame Auswertung der Europäischen Studie APL-2000 mit der PETHEMA-LPA-99-Studie ergab dann sogar eine geringere Rezidivrate bei jüngeren Patienten (unter 65 Jahren) mit Leukozytenwerten unter 10 000/µl, wenn kein Cytarabin verwendet wurde. Bei Hochrisikopatienten wurde ein positiver Trend mit signifikant höherer Remissionsrate sowie besserem krankheitsfreien und Gesamtüberleben zugunsten der Cytarabintherapie festgestellt [Ades L 2005].

Erhaltungstherapie: Eine Erhaltungstherapie mit ATRA ist wirksam. Die kontinuierliche Gabe führt zu Nebenwirkungen und Toxizität und ist nicht durch pharmakokinetische oder -dynamische Daten gesichert [Muindi J 1992]. In der europäischen APL-93-Studie konnte gezeigt werden, dass eine Dreifacherhaltungstherapie mit ATRA, 6-Mercaptopurin und Methotrexat zu einer geringeren Rezidivrate führt, insbesondere bei Patienten mit hohen Leukozytenzahlen [Fenaux P 1993]. Möglicherweise ist diese Erhaltungstherapie bei einer effektiveren Induktions- und Konsolidationstherapie weniger nützlich, wie die Daten einer italienischen Studie nahe legen [Sanz MA 2006]. Bei Patienten, die nach 3 Kursen intensiver Konsolidation PML-RARα-negativ sind, führt eine intensivierte Erhaltungstherapie mit 6 Zyklen nach 6 Jahren zu einer signifikant schlechteren Überlebensrate von 86,2% als die reine Beobachtung (98,8%) [Asou N 2007].

Hochdosistherapie und allogene oder autologe Stammzelltransplantation: Durch die sehr hohe Heilungsrate mit ATRA und Chemotherapie ergibt sich bei Patienten, die sich nach der Konsolidationstherapie in der ersten molekularen Remission befinden, keine Indikation zur Stammzelltransplantation. Bei Persistenz einer minimalen residualen Erkrankung mit PML-RARα-Nachweis können neue Therapieoptionen wie ATO oder der Anti-CD33-Antikörper Gemtuzumab mit Ozogamicin gefolgt von einer Stammzelltransplantation in Betracht kommen. Für Patienten mit HLA-identischem Geschwisterspender ist eine allogene Stammzelltransplantation die Therapie der Wahl, wenn nach einer zusätzlichen Behandlung mit ATO immer noch PML-RARα mit der Polymerasekettenreaktion nachweisbar ist. Ohne Spender oder wenn eine allogene Transplantation nicht möglich ist, kommt die autologe Stammzelltransplantation nach Hochdosistherapie infrage - vorausgesetzt, dass vor der Transplantation der Befund der Polymerasekettenreaktion negativ ist [Sanz MA 2006].

Standardtherapieprotokoll

Die Patienten sollten im Rahmen einer prospektiven kontrollierten Studie der etablierten AML-Studiengruppen behandelt werden. Falls dies nicht möglich ist, ist das nachfolgend aufgeführte und etablierte GIMEMA-AIDA-2000-Protokoll zu verwenden. Die oben angegebenen Risikogruppen sollten beachtet werden.

Standardinduktionstherapie (Protokoll GIMEMA-AIDA-2000), alle Risikogruppen
  • ATRA: 45 mg/m2KOF/Tag (aufgerundet auf die nächste 10er-Stufe) in 2 Einzeldosen p.o. bis zur Vollremission, maximal für 60 Tage
  • Idarubicin: 12 mg/m2KOF (Körperoberfläche) i.v. an den Tagen 2, 4, 6 und 8
  • Prophylaxe des APL-Differenzierungssyndroms bei Induktionstherapie mit Prednison in einer Dosierung von 0,5 mg/kgKG/Tag von Tag 1 bis zum Ende der Induktionstherapie

Konsolidationstherapie

Nach Erreichen einer hämatologischen Vollremission folgen 3 Kurse mit Chemotherapie und ATRA (Therapiebeginn der Zyklen bei Leukozytenzahlen von >1500/µl und Thrombozytenzahlen von >100 000/µl).

Standardkonsolidationstherapie (Protokoll GIMEMA-AIDA-2000), niedriges und mittleres Risiko
1. Kurs
  • ATRA: 45 mg/m2KOF/Tag (aufgerundet auf die nächste 10er-Stufe) in 2 Einzeldosen p.o. für 15 Tage
  • Idarubicin: 5 mg/m2KOF i.v. pro Tag an den Tagen 1-4
2. Kurs
  • ATRA: 45 mg/m2KOF/Tag (aufgerundet auf die nächste 10er-Stufe) in 2 Einzeldosen p.o. für 15 Tage
  • Mitoxantron: 10 mg/m2KOF i.v. pro Tag an den Tagen 1-5
3. Kurs
  • ATRA: 45 mg/m2KOF/Tag (aufgerundet auf die nächste 10er-Stufe) in 2 Einzeldosen p.o. für 15 Tage
  • Idarubicin: 12 mg/m2KOF i.v. an Tag 1

Es erfolgt jeweils eine Fortführung der Zyklen wenn die Leukozytenzahlen bei >1500/µl liegen und die Thrombozytenzahlen bei >100 000/µl.

Standardkonsolidationstherapie (Protokoll GIMEMA-AIDA-2000), hohes Risiko
1. Kurs
  • ATRA: 45 mg/m2KOF/Tag (aufgerundet auf die nächste 10er-Stufe) in 2 Einzeldosen p.o. für 15 Tage
  • Idarubicin: 5 mg/m2KOF i.v. pro Tag an den Tagen 1-4
  • Cytarabin: 1000 mg/m2KOF pro Tag über 6 Stunden i.v. an den Tagen 1-4
2. Kurs
  • ATRA: 45 mg/m2KOF/Tag (aufgerundet auf die nächste 10er-Stufe) in 2 Einzeldosen p.o. für 15 Tage
  • Mitoxantron: 10 mg/m2KOF i.v. pro Tag an den Tagen 1-5
  • VP-16: 100 mg/m2KOF i.v. pro Tag an den Tagen 1-5 (jeweils 12 Stunden nach Beginn der Mitoxantroninfusion)
3. Kurs
  • ATRA: 45 mg/m2KOF/Tag (aufgerundet auf die nächste 10er-Stufe) in 2 Einzeldosen p.o. für 15 Tage
  • Idarubicin: 12 mg/m2KOF i.v. an Tag 1
  • Cytarabin: 150 mg/m2KOF alle 8 Stunden s.c. an den Tagen 1-5
  • 6-Thioguanin: 70 mg/m2KOF alle 8 Stunden p.o. an den Tagen 1-5

Meningeosis leukaemica

Patienten mit hoher Leukozytenzahl (>10 000/µl) oder Rezidiv haben ein erhöhtes Risiko eines meningealen Befalls. Vor Beginn der Konsolidationstherapie müssen alle Hochrisikopatienten eine Lumbalpunktion mit Liquordiagnostik zur Frage des zentralnervösen Leukämiebefalls erhalten.

Prophylaxe bei Hochrisikopatienten

Wenn keine Leukämiezellen nachweisbar sind, erfolgt vor jeder Konsolidationstherapie die intrathekale Prophylaxe, d.h. bei insgesamt 3 Therapiezyklen:

Intrathekale Standardprophylaxe (Protokoll GIMEMA-AIDA-2000), hohes Risiko
  • Methotrexat: 12 mg absolut einmalig am Tag vor der Chemotherapie
  • 6-Methylprednisolon: 40 mg absolut einmalig am Tag vor der Chemotherapie

Therapie

Bei nachgewiesenem Befall des zentralen Nervensystems erhalten die Patienten die im Folgenden dargestellte intrathekale Therapie.

Intrathekale Standardtherapie (Protokoll GIMEMA-AIDA-2000)
  • Methotrexat: 12 mg absolut alle 3 Tage, bis der Liquor blastenfrei ist, sowie anschließend 2 zusätzliche Therapiezyklen alle 7 Tage
  • 6-Methylprednisolon: 40 mg absolut alle 3 Tage, bis der Liquor blastenfrei ist, sowie anschließend 2 zusätzliche Therapiezyklen alle 7 Tage
  • Cytarabin: 50 mg absolut alle 3 Tage, bis der Liquor blastenfrei ist, sowie anschließend 2 zusätzliche Therapiezyklen alle 7 Tage

Eine kraniale Strahlentherapie erfolgt nach Abschluss der Konsolidationstherapie, eine Radiatio der Neuroachse nur bei individueller Notwendigkeit, z.B. bei Nachweis einer Raumforderung,

Alternative Therapie

Liposomales Cytarabin ist bei lymphatischen Neoplasien zur Meningeosistherapie etabliert. Bei der AML gibt es bisher nur wenige Daten [Sancho JM 2007]. Bei Kontraindikationen oder Toxizität der konventionellen intrathekalen Therapie kann diese Substanz verwendet werden.

Alternative intrathekale Therapie
  • Liposomales Cytarabin: 50 mg absolut alle 14 Tage, bis der Liquor blastenfrei ist (maximal 6 Zyklen), sowie anschließend 4 Konsolidationszyklen
  • Dexamethason: 2-mal 4 mg/Tag p.o. jeweils an den Tagen 1-5 der intrathekalen Therapie
Cave: keine gleichzeitige Therapie mit Hochdosis Cytarabin, Hochdosis Methotrexat oder Thiotepa sowie keine parallele Bestrahlung des Zentralnervensystems oder der Neuroachse

Erhaltungstherapie

Alle Patienten sämtlicher Risikogruppen mit negativem Befund der Polymerasekettenreaktion für PML-RARα bei der Regeneration nach dem dritten Konsolidationskurs erhalten eine Erhaltungstherapie (Beginn: ein Monat bis maximal 3 Monate nach Konsolidation, wenn die Leukozytenzahlen bei >1500/µl und die Thrombozytenzahlen bei >100 000/µl liegen; Zeitdauer: insgesamt 2 Jahre). In dieser Zeit erhalten die Patienten 6 Kurse über jeweils 15 Tage mit ATRA, außerdem Cotrimoxazol forte (4 Tabletten pro Woche) zur Prophylaxe einer Pneumocystispneumonie.

Erhaltungstherapie (Protokoll GIMEMA-AIDA-2000)
  • 6-Mercaptopurin: 50 mg/m2KOF/Tag p.o.
  • Methotrexat: 15 mg/m2KOF einmal wöchentlich i.m.
  • ATRA: 45 mg/m2KOF/Tag (aufgerundet auf die nächste 10er-Stufe) p.o. in 2 Einzeldosen für 15 Tage (alle 3 Monate)
Während der ATRA-Therapie wird die Gabe von 6-Mercaptopurin und Methotrexat ausgesetzt.

APL-Therapiestudie 0406

Die Studie "vergleicht bei neu diagnostizierten Patienten mit APL ohne Hochrisikoparameter die ATRA und ATO Behandlung mit der Standard-Therapie ‚ATRA plus Chemotherapie’" (GIMEMA-AIDA-2000-Protokoll, s. oben).

APL0406 Intergroup Study AL WP GIMEMA - DSIL, ATO + ATRA
Induktionstherapie (Studienarm):
  • ATO: 0,15 mg/kgKG/Tag über 2 Stunden i.v. bis zur Vollremission im Knochenmark, maximal für 60 Tage
  • ATRA: 45 mg/m2KOF/Tag (aufgerundet auf die nächste 10er-Stufe) p.o. in 2 Einzeldosen bis zur Vollremission im Knochenmark, maximal für 60 Tage
Konsolidation:
  • ATO: 0,15 mg/kgKG/Tag über 2 Stunden i.v. wöchentlich an den Tagen 1-5 für insgesamt 4 Wochen mit anschließender 4-wöchiger Pause (insgesamt 4 Kurse)
  • ATRA: 45 mg/m2KOF/Tag (aufgerundet auf die nächste 10er-Stufe) p.o. in 2 Einzeldosen für 2 Wochen mit anschließender 2-wöchiger Pause (insgesamt 7 Kurse)

Das Standard-AIDA-Protokoll dient bei Patienten mit geringem und mittlerem Risiko als Vergleichsarm (s. oben).

Beurteilung des Therapieerfolgs nach Induktionstherapie

Morphologische, molekulare und zytogenetische Befunde müssen vorsichtig beurteilt werden, um therapeutische Fehlentscheidungen zu vermeiden [Sanz MA 2006].

Auch 40-50 Tage nach Therapiebeginn mit ATRA und Chemotherapie sollten atypische zytomorphologische Befunde nicht zur Therapieänderung führen. Vielmehr sollte die Therapie bis zur terminalen Ausdifferenzierung und dem Erreichen einer Vollremission fortgesetzt werden, die bei allen Patienten mit genetisch nachgewiesener APL zu erzielen ist. Auch die zytogenetische und molekulare Beurteilung hat am Ende der Induktionstherapie geringen oder keinen Wert. Erst nach der Konsolidation sollte das molekulare Ansprechen beurteilt werden.

Persistenz oder Rezidiv von PML-RARα: Bei Persistenz bzw. Wiederauftreten von PML-RARα nach der Konsolidation ist eine frühzeitige zusätzliche intensivierte Therapie erforderlich, weil sonst ein hämatologisches Rezidiv folgen wird [Esteve J 2007] [Sanz MA 2005b]. Die Therapieergebnisse sind besser, wenn beim molekularen statt beim hämatologischen Rezidiv behandelt wird.

Rezidivtherapie

Bevor ATO mit seiner durchschlagenden Wirksamkeit verfügbar war (s. unten), bestand die Rezidivtherapie aus der erneuten Therapie mit ATRA und Chemotherapie, einschließlich der Gabe von Hochdosiscytarabin gefolgt von einer Hochdosistherapie mit Stammzelltransplantation [De Botton S 2005]. Die autologe Transplantation wird bei molekularer Remission und die allogene Transplantation bei Persistenz von PML-RARα durchgeführt. Aktuell ist die Gabe von ATO die beste Rezidivtherapie, wobei die Art der anschließenden Konsolidation noch offen ist. Es kommen dafür die Hochdosistherapie mit Stammzelltransplantation infrage sowie wiederholte Zyklen mit ATO in Kombination mit einer Standardchemotherapie [Sanz MA 2007]. Auch der monoklonale Antikörper gegen CD33 Gemtuzumab Ozogamicin (GO), der an das zytotoxische Calicheamicin gekoppelt ist, kann eine hohe Rate an molekularen Remissionen induzieren [Lo-Coco F 2004b]. Für Patienten mit einem Rezidiv nach der ATO-ATRA-Studie kommen diese Therapiemöglichkeiten infrage. Patienten mit Rezidiv haben ein erhöhtes Risiko des meningealen Leukämiebefalls; eine entsprechende Diagnostik ist nach der Induktionstherapie erforderlich.

Arsentrioxid

Erste Ergebnisse mit der ATO-Monotherapie bei Rezidivpatienten ergaben Remissionsraten von 81-91% [Douer D 2005] [Sanz MA 2005a] [Shen ZX 1997] [Soignet SL 2001].

Die mediane Zeit bis zum Erreichen einer Vollremission beträgt 35 Tage. Eine Vollremission wurde nach 59 Tagen erreicht. In der amerikanischen Multicenterstudie erreichten 86% von 29 Patienten eine molekulare Remission (Knochenmarkuntersuchungen auf das PML-RARα-Transkript) [Douer D 2005]. Die Überlebensraten nach 1-3 Jahren liegen bei 50-70% [Sanz MA 2005].

Protokoll

ATO wird täglich i.v. über 2 Stunden infundiert. Die Einzeldosis beträgt für Erwachsene 0,15 mg/kgKG/Tag bis zum Erreichen einer Knochenmarkremission oder bis zu einer Summe von maximal 50 Einzeldosen.

Nach einer Therapiepause von 3-4 Wochen folgt eine Konsolidationstherapie mit 0,15 mg/kgKG/Tag (i.v. Gabe über 2 Stunden) über 5 Tage pro Woche, jeweils gefolgt von einer 2-tägigen Pause, für 5 aufeinander folgende Wochen.

Arsentrioxid in der Induktionstherapie, als Monotherapie und in Kombination mit ATRA

Die Monotherapie mit ATO führt in der Primärtherapie bei über 80% der APL-Patienten zur Vollremission, mit hohen Raten einer molekularen Remission, die noch gesteigert werden können, wenn ATO mit ATRA kombiniert wird [Mathews V 2006] [Shen ZX 2004]. ATRA verstärkt in vitro die ATO-induzierte Apoptose, auch bei geringen ATO-Konzentrationen. Der Synergismus von ATRA und ATO erweitet das bisherige Konzept der APL-Therapie durch eine ATRA-Differenzierung zusätzlich um die Apoptose und erklärt die höhere Wirksamkeit, wenn beide Substanzen kombiniert werden.

Die Ansprechraten der Kombinationstherapie sind bei Patienten mit niedrigem und mittlerem Risiko besser als bei höherem Risiko, sodass zumindest die beiden ersten Patientengruppen wahrscheinlich ohne Chemotherapie mittels ATRA und ATO geheilt werden können [Estey E 2006]. Dieses Vorgehen wurde bisher nicht prospektiv untersucht und ist Gegenstand der laufenden Studie APL0406 Intergroup Study AL WP GIMEMA - DSIL (s. oben).

Arsentrioxid zur Konsolidation in der Primärtherapie

Die Frage, ob ATO bei der ersten Postremissionstherapie die Ergebnisse verbessern kann, wurde in der Studie North American Intergroup Protocol C9710 untersucht. Das ereignisfreie Überleben nach 3 Jahren konnte signifikant von 66% auf 81% gesteigert werden [Powell BL 2007]. Allerdings sind die Ergebnisse der Standardtherapie (ohne ATO) dieser Studie deutlich schlechter als die der europäischen Studien. Dennoch sind diese Daten wichtig, denn sie zeigen, dass ATO einen zusätzlichen Effekt bei Addition zu ATRA und Chemotherapie hat und dass auch eine nicht optimale "Standardtherapie" damit verbessert werden kann. Derzeit läuft bei APL-Patienten mit niedrigem und mittlerem Risiko eine europäische Studie (APL0406 Intergroup Study AL) der GIMEMEA und der DSIL, in der ATO und ATRA im Vergleich zur Standardtherapie zur Konsolidierung verwendet werden (s. oben).

8.9.10 Management von Komplikationen und Nebenwirkungen, Supportivtherapie

Koagulopathie, Blutung und Thrombophilie

Ein Anteil von 10% der Patienten kann während der ersten Tage noch vor Therapiebeginn tödliche Blutungen erleiden, die in 30-60% der Fälle zu den Ursachen der Frühtodesfälle zählen [Tallman M 2007]. Am häufigsten sind intrazerebrale Blutungen. Auch bei Thrombozytenwerten von 20 000/µl, die sonst genügend Schutz vor Blutungen bieten, können massive Hämorrhagien auftreten.

Deswegen müssen sofort Maßnahmen ergriffen werden, um diese Blutungen zu vermeiden. Schwere Blutungen korrelieren nicht mit abnormalen Befunden der Gerinnungstests, sonder eher mit erhöhten Leukozytenzahlen.

Thrombosen bei Diagnosestellung oder während der Therapie können unerkannt bleiben. Sie wurden als Lungenembolie oder in Form von Thromben im Sinus sagittalis superior, im Herzventrikel und in tiefen Venen nachgewiesen. Das Thromboserisiko ist mit einer erhöhten Leukozytenzahl, dem bcr3-Subtyp des PML-RARα-Proteins, der FLT3-ITD-Mutation sowie der Expression von CD2 und CD15 korreliert [Tallman M 2007]. Auch bei der mikrogranulären APL, die mit höheren Leukozytenzahlen einhergeht, besteht ein höheres Blutungsrisiko. Es kann schwierig sein, die Ursache der Thrombose von der Koagulationsstörung zu trennen. Zusätzlich können gleichzeitig Blutungen auftreten.

Pathophysiologie

Drei Ursachen sind für die Koagulopahthie und die Thromboseneigung verantwortlich:

  • disseminierte intravasale Koagulation
  • Fibrinolyse
  • direkte Proteolyse verschiedener Proteine

Verbrauchskoagulopathie und prokoagulatorische Aktivität

Die üblichen Gerinnungsbefunde bei APL sind:

  • verlängerte Prothrombinzeit und partielle Thromboplastinzeit
  • Thrombozytopenie
  • Hypofibrinogenämie
  • Konzentrationserhöhung von Fibrinogenspaltprodukten und D-Dimeren

Hinweise auf eine Verbrauchskoagulopathie sind erhöhte Aktivierungswerte wie Fibrinopeptid A, Thrombin-Antithrombin-Komplex sowie Prothrombinfragmente 1 und 2. Abgesehen von der Thrombozytopenie können jedoch auch ohne diese Abnormalitäten fatale Blutungen auftreten.

Kein Befund der Routinetests ist ausreichend diagnostisch beweisend für einen einzelnen Prozess, sondern die Befunde beschreiben eher eine komplizierte Interaktion verschiedener Gerinnungsstörungen.

Mindestens 2 prokoagulatorische Mediatoren wurden bei APL beschrieben [Tallman M 2007]: Cancer procoagulant und Gewebefaktor (Tissue factor, TF). Die ATRA-Therapie vermindert die TF-Expression in Knochenmarkzellen. Entzündliche Zytokine können die Bildung von Plasminogenaktivatorinhibitor 1 stimulieren, was die Fibrinolyse hemmt und dadurch zur Thrombose beiträgt.

Fibrinolyse

Viele Patienten mit APL haben erhöhte Werte für Plasminogenaktivator vom Urokinasetyp (u-PA) sowie niedrige Werte für Plasminogen und α2-Antiplasmin als Ausdruck der primären Fibrinolyse [Tallman M 2007]. Erhöhte D-Dimer-Werte sprechen für eine sekundäre Fibrinolyse. Andererseits exprimieren leukämische Promyelozyten bei APL Annexin-II an der Zelloberfläche, wodurch Plasminogen rasch zu Plasmin konvertiert wird. Annexin-II ist auf zerebralen Endothelzellen stärker exprimiert, wodurch die hohe Rate zerebraler Blutungen erklärbar ist.

Proteolyse

Die Granula der AML- und APL-Zellen enthalten Proteasen wie Elastase und Chymotrypsin, die Fibrinogen und andere prokoagulatorische Proteine wie auch den von-Willebrand-Faktor direkt abbauen können. Erhöhte Werte der Leukozytenelastase und der Fibrinspaltprodukte weisen auf die aktivierte Proteolyse hin.

Gesteigerte Angiogenese

Bei unbehandelter APL besteht eine verstärkte Angiogenese, stimuliert durch den Vascular endothelial growth factor (VEGF), der auch die Bildung des TF und somit die Koagulopathie anregt.

Therapie der Koagulopathie

Großzügig müssen Fresh frozen plasma (FFP), Fibrinogen oder beides substituiert werden, um den Fibrinogenwert über 1,5 g/l (150 mg/dl) zu halten. Thrombozyten müssen regelmäßig und ggf. auch mehrfach täglich transfundiert werden, um den Wert sicher über 30 000-50 000 Thrombozyten/µl zu stabilisieren.

Diese intensive Substitutionstherapie ist erforderlich, bis sämtliche klinischen oder laborchemischen Zeichen der Koagulopathie unter der Leukämietherapie verschwunden sind [Sanz MA 2006]. Daher ist es wesentlich, die Leukämietherapie so rasch wie möglich zu beginnen. Insbesondere ältere Patienten sowie solche mit Hyperleukozytose, erhöhtem Kreatininwert oder manifester Koagulopathie müssen intensiv supportiv behandelt werden.

Heparin, Tranexamsäure oder andere antikoagulatorische oder fibrinolytische Therapien sind nicht von Vorteil [Sanz MA 2006] [Tallman M 2007]. Möglicherweise kann jedoch der aktivierte Faktor VII (Novoseven) hilfreich sein.

Nebenwirkungen der ATRA-Therapie

Häufige Nebenwirkungen der ATRA-Therapie sind Leukozytose, Thrombozytose und Basophilie.

Neben dem APL-Differenzierungssyndrom (s. unten) wurden folgende häufige Nebenwirkungen von ATRA berichtet [Roche Pharma AG 2006]: Brustschmerzen, Schüttelfrost, Unwohlsein, verminderter Appetit, Hyperkalzämie, Verwirrtheit, Angstzustände, Depression, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Erhöhung des intrakraniellen Drucks (Pseudotumor cerebri; s. unten), benigner intrakranieller Bluthochdruck, Schwindel, Parästhesien, Sehstörungen, Erkrankungen der Bindehaut, Einschränkung des Hörvermögens, Arrhythmien, Rötungen und Hitzegefühl, Ateminsuffizienz, Nasentrockenheit, Asthma, Mundtrockenheit, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfall, Verstopfung, Pankreatitis, Cheilitis, Erythem, Exanthem, Pruritus, Alopezie, Schwitzen, Knochenschmerzen sowie Erhöhung der Serumwerte für Triglyzeride, Kreatinin, Cholesterin und Transaminasen.

APL-Differenzierungssyndrom

Patienten sowohl unter ATRA- als auch ATO-Therapie können das APL-Differenzierungssyndrom entwickeln, das bisher auch "ATRA-Syndrom" genannt wurde und das lebensbedrohlich sein kann [Sanz MA 2005b] [Wiley JS 1995].

Klinische Zeichen des APL-Differenzierungssyndroms
Die Diagnose sollte vermutet werden, wenn eines der folgenden klinischen Symptome mit oder ohne Leukozytose (>10 000/µl) nachweisbar ist:
  • Dyspnoe
  • unerklärtes Fieber
  • Gewichtszunahme
  • periphere Ödeme
  • unerklärter Blutdruckabfall
  • akutes Nierenversagen
  • Herzinsuffizienz
  • Lungeninfiltrate auf dem Röntgenbild des Thorax
  • pleuroperikardiale Ergüsse

Daher sollte eine Therapie mit Dexamethason (2-mal 10 mg/Tag p.o. oder i.v. für mindestens 3 Tage) bei den geringsten Zeichen begonnen werden, auch wenn diese Symptome durch andere typische Komplikationen wie Infektionen oder Herzinsuffizienz hervorgerufen werden können. Eine vorübergehende Unterbrechung der ATRA- oder ATO-Therapie ist nur beim schweren APL-Differenzierungssyndrom erforderlich. Ansonsten sollte die Therapie beibehalten werden, außer wenn sich das Syndrom trotz Dexamethasonbehandlung verschlechtert oder kein Ansprechen zu verzeichnen ist. Dexamethason sollte in diesen Fällen so lange beibehalten werden, bis die Zeichen des Differenzierungssysndroms vollständig verschwunden sind. Dann können ATRA oder ATO wieder gegeben werden.

Es gibt keine Vergleichsstudie, die besagt, dass eine Prophylaxe mit Kortikosteroiden vorteilhaft ist, um die Morbidität und die Mortalität des Syndroms zu vermindern. Allerdings ergaben unkontrollierte Studien, dass die Mortalität durch ein APL-Differenzierungssyndrom bei einer prophylaktischen Prednisolon- oder Dexamethasontherapie bei Patienten mit mehr als 5000 Leukozyten/µl sehr niedrig ist [Sanz MA 2004a] [Wiley JS 1995]. Daher erfolgt bei der Induktionstherapie eine Prophylaxe mit Prednison (0,5 mg/kgKG/Tag) von Tag 1 bis zum Ende der Induktionstherapie.

Pseudotumor cerebri

Bei Patienten unter 20 Jahren und insbesondere bei Kindern kann es unter der ATRA-Therapie zu einem Pseudotumor cerebri kommen, der sich durch Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen manifestiert, weshalb die ATRA-Dosis bei diesen Patienten auf 25 mg/m²KOF reduziert wurde. Die Behandlung erfolgt mit einer vorübergehenden ATRA-Pause oder einer Dosisreduktion sowie mit Dexamethason, osmotischen Diuretika (Mannitol) und Schmerzmitteln [Sanz MA 2006].

Leukozytose

Bei einem starken Anstieg der Leukozytenwerte wird die Granulopoese durch Gabe von Hydroxyurea in folgenden Dosierungen gestoppt:

  • bei Leukozytenwerten über 50 000/µl: 4-mal 1000 mg/Tag
  • bei Leukozytenzahlen zwischen 10 000 und 50 000µl: 4-mal 500 mg/Tag
  • bei Leukozytenwerten unter 10 000/µl: Absetzen der Hydroxyureatherapie

Nebenwirkungen der Arsentrioxidtherapie

ATO wird meistens gut vertragen. Häufige (1-10%) Grad-3- und -4-Nebenwirkungen waren bisher Fatigue, Arthralgie, Knochenschmerzen, Hyperglykämie, erhöhte Transaminasenwerte, QT-Intervall-Verlängerung (s. unten), Dyspnoe, pleuritische Schmerzen, Parästhesie, Neutropenie, Thrombozytopenie und APL-Differenzierungssyndrom (s. oben) [Cephalon 2006].

Verlängerung des QTc-Intervalls: Eine QT-Intervall-Verlängerung mit mindestens einer frequenzkorrigierten QT-Intervall-Verlängerung (QTc) auf mehr als 500 ms wurde bei 40% der Patienten in klinischen Studien beobachtet. Durch Verlängerung der QTc-Zeit kann es zu ventrikulären Arrhythmien vom Typ Torsades de pointes kommen. Engmaschige EKG-Kontrollen sind daher erforderlich. Im EKG reicht die QT-Zeit vom tiefsten Punkt der Q-Zacke bis zum Ende der T-Welle. Die korrigierte QTc kann mit der folgenden Formel berechnet werden: QTc = QT + 0,154 x (1000 - RR). Nach dieser Formel berechnete Werte des QTc-Intervalls von >450 ms bei Männern und >460 ms bei Frauen müssen als verlängert gelten. ATO sollte dann - ebenso wie andere Medikamente, die das QTc-Intervall verlängern - abgesetzt werden. Es kann mehrere Tage bis zur Normalisierung der QTc-Zeit dauern. Anschließend kann die Therapie mit ATO mit 50% der Dosis für 7 Tage wieder begonnen werden. Dann folgt die Gabe von 0,11 mg/kgKG für eine weitere Woche. Wenn keine erneute QTc-Intervall-Verlängerung auftritt, kann wieder normal dosiert werden. Nach den vorliegenden Sicherheitsdaten war keine vorzeitige Beendigung der ATO-Therapie mit Trisenox aufgrund kardialer Nebenwirkungen erforderlich, und tödliche kardiale Nebenwirkungen traten bisher nicht auf [Cephalon 2006] [Sanz MA 2005b]. Die Serummagnesium- und -kaliumwerte müssen stringent kontrolliert und weit über der unteren Normwertgrenze gehalten werden.

Nebenwirkungen der Kombination von ATRA und Arsentrioxid

Es gab keine signifikante zusätzliche Toxizität, wenn beide Substanzen kombiniert wurden [Shen ZX 2004].

Sonstige Supportivtherapie

Die übrigen Maßnahmen wie z.B. die prophylaktische Gabe von Granulozyten-Kolonie-stimulierendem Faktor (Granulocyte-colony stimulating factor, G-CSF) entsprechen denen bei andern Subtypen der AML und auch der dort beschriebenen Chemotherapie.

8.9.11 Vorgehen in besonderen Situationen und bei speziellen Patientengruppen

Ältere Patienten

Patienten über 60 Jahren können - wie auch jüngere - ebenfalls mittels Chemotherapie und ATRA erfolgreich behandelt werden. Allerdings besteht eine höhere Mortalität während der Induktionstherapie. In den PETHEMA-Studien wurde nur bei Patienten über 70 Jahren die Idarubicindosis von 12 mg/m2KOF/Tag an den Tagen 2, 4, 6 und 8 um die Injektion an Tag 8 reduziert. Von 104 Patienten erreichten 87 (84%) eine Vollremission. Nach 6 Jahren lagen die kumulativen Inzidenzwerte von Rezidiv, leukämiefreiem Überleben und krankheitsfreiem Überleben bei 8,5%, 91% und 79% [Sanz MA 2004b]. Lediglich äußerst gebrechliche Patienten, denen keine Chemotherapie zugemutet werden kann, wären bisher Kandidaten für eine alternative Therapie mit ATO mit oder ohne ATRA [Douer D 2006].

Schwangere

Wegen der Koagulopathie bei APL und der Teratogenität von Chemotherapie und ATRA bestehen besondere Bedenken bei der APL-Therapie während der Schwangerschaft. ATRA und Chemotherapie können während des zweiten und dritten Trimenons zur Anwendung kommen, ohne dass das Kind beeinträchtigt wird [Sanz MA 2006]. Während des ersten Trimenons muss die Teratogenität von Retinoiden bedacht werden.

ATO sollte wegen seiner aus Tierexperimenten bekannten Embryotoxizität während der Schwangerschaft nicht verwendet werden.

Therapieassoziierte APL

Eine APL nach Krebstherapie tritt meist innerhalb von 3 Jahren nach der Therapie auf, wenn Topoisomerase-II-Inhibitoren wie Anthrazykline, Mitoxantron oder seltener VP-16 verwendet wurden. Wenn die Therapie dem aktuellen Standard entspricht, unterscheidet sich die Prognose nicht von derjenigen der De-novo-APL [Beaumont M 2003].

APL-Rezidiv im zentralen Nervensystem

Fünf Prozent der Patienten, die nach einer Therapie mit ATRA und Chemotherapie innerhalb von 3 Jahren ein APL-Rezidiv erleiden, weisen einen Befall des Zentralnervensystems (ZNS) auf [De Botton S 2006].

Risikofaktoren für ein ZNS-Rezidiv sind Leukozytenzahlen über 10 000/µl, die bcr3-PML-RARα-Isoform und ein Alter unter 45 Jahren, von denen in der multivariaten Analyse jedoch nur die hohen Leukozytenwerte signifikant waren. Eine primäre ZNS-Prophylaxe ist daher bei Leukozytenzahlen unter 10 000/µl nicht erforderlich. Eine intrathekale ZNS-Prophylaxe der Meningeosis leukaemica soll bei Patienten mit Leukozytenwerten über 10 000/µl durchgeführt werden. Sie soll jedoch wegen der hohen Blutungsgefahr bei Diagnosestellung erst während der Remission erfolgen (s. oben).

Verlaufskontrollen außerhalb klinischer Studien

Um den Krankheitsverlauf zu kontrollieren, sind folgende regelmäßige Knochenmarkuntersuchungen bzw. -befunde relevant:

Nach der Induktionstherapie:
Zytomorphologische Diagnostik und molekularer Nachweis des PML-RARα-Hybridgens nach dem Ende des dritten Konsolidationszyklus und bei allen folgenden Untersuchungen
Während der Erhaltungstherapie:
  • bei Niedrigkisiko: keine zusätzlichen Kontrollen erforderlich
  • bei mittlerem Risiko: im ersten Jahr alle 2 Monate, im zweiten Jahr alle 3 Monate, im dritten und vierten Jahr alle 6 Monate
  • bei Hochrisiko: während der ersten 6 Monate monatlich, während der folgenden 6 Monate alle 2 Monate, im zweiten Jahr alle 3 Monate, im dritten und vierten Jahr alle 6 Monate
Bei Ansprechen (die Kriterien des Ansprechens sind im Detail in Kap. 8.1.4 beschrieben [Cheson BD 2003]; bei der APL kommen noch die molekulargenetischen und Gerinnungsbefunde dazu):
Hämatologisches Ansprechen, Kriterien der Vollremission:
  • normale Knochenmarkzellularität, Blastenanteil von <5%, keine pathologischen Promyelozyten
  • normale Gerinnungsparameter: Prothrombinzeit, aktivierte partielle Prothrombinzeit, Fibrinogenspiegel, Konzentration der Fibrin(ogen)spaltprodukte oder der vernetzten Fibrin-Abbauprodukte (XDP)
  • Leukozytenzahl: >3000/µl
  • Neutrophilenzahl: >1500/µl
  • Thrombozytenzahl: >100 000/µl
  • Hämoglobinwert: >10 g/dl
Molekulares Ansprechen:
  • molekulare Vollremission (MOCR), kein Nachweis des PML-RARα-Hybridgens in Knochenmarkzellen nach Ende des dritten Konsolidationskurses
Resistente Erkrankung:
Untersuchung bei allen Patienten, die während der Induktionsphase keine Vollremission erreichen
Molekular resistente Erkrankung:
Persistenz des PML-RARα-Hybridgens in Knochenmarkzellen nach Ende des dritten Konsolidationskurses
Rezidiv:
Hämatologisches Rezidiv:
Erneuter Nachweis von >10% abnormen Promyelozyten im Knochenmark in Verbindung mit dem erneuten Nachweis des PML-RARα-Hybridgens
Molekulares Rezidiv:
Erneuter Nachweis des PML-RARα-Hybridgens in Knochenmarkzellen mit 2-maliger Bestätigung innerhalb von 2-4 Wochen bei Patienten, die sich vorher in einer molekularen Remission befanden
Extramedulläres Rezidiv, Meningeosis leukaemica:
Diagnose des extramedullären Rezidivs aufgrund des Nachweises aus Gewebeproben bzw. bei meningealem Rezidiv auf Basis der Liquorzytologie; Gründung der Diagnose auf den Nachweis des PML-RARα-Hybridgens mittels RT-PCR oder das mikrogranuläre Muster des PML-Proteins in den suspekten Zellen; erhöhtes Risiko eines meningealen Befalls bei Patienten mit Rezidiv

8.9.12 Zusammenfassung

Das empfohlene Vorgehen bei APL ist im Folgenden zusammengefasst [Sanz MA 2006].

Vor der Induktionstherapie: Behandlung als medizinischer Notfall, Therapie nur in Abteilungen mit Erfahrung in der Leukämietherapie mit den nachfolgenden zeitgleichen und sofortigen Maßnahmen:
  • Bestätigung der genetischen Diagnose: Zytogentik, Fluorseszenz-In-situ-Hybridisierung, RT-PCR oder Anti-PML-Immunzytochemie
  • ATRA-Therapie
  • Supportivtherapie: großzügige Substitution mit FFP, Fibrinogen und Thrombozyten; Zielwerte für Fibrinogenkonzentration (>150 mg/dl) und Thrombozytenzahl (>30 000-50 000/µl) beachten
Induktionstherapie - ATRA plus anthrazyklinbasierte Chemotherapie:
  • keine Modifikation der Therapie, die auf zusätzlichen zytogenetischen Abnormalitäten wie CD56-Expression oder bcr3-Isoform etc. beruht
  • zeitweilige Unterbrechung der ATRA-Therapie nur bei schwerem APL-Differenzierungssyndrom oder Pseudotumor cerebri
  • Dexamethasontherapie bei geringstem Verdacht auf ein APL-Differenzierungssyndrom
Beurteilung des Ansprechen:
  • verzögerte Ausreifung oder Persistenz von atypischen Promyelozyten bis 40-50 Tage nach Therapiebeginn möglich
  • ATRA-Therapie fortführen, und zwar bis zur terminalen Differenzierung der Blasten, die bei allen Patienten zu erwarten ist
  • molekulare und zytogenetische Beurteilung nach Ende der Induktionstherapie ohne prognostischen Wert - dieser Befund darf nicht für Therapieentscheidungen verwendet werden, sondern erst die entsprechenden Befunde nach Ende der Konsolidationstherapie
Konsolidation:
  • ATRA plus anthrazyklinbasierte Chemotherapie (2-3 Zyklen)
Molekulare Beurteilung des PML-RARa-Gens am Ende der Konsolidation:
  • Polymerasekettenreaktionsprotokolle mit niedriger Sensitivität, d.h. 10-3 bis 10-4 
Befund der Polymerasekettenreaktion für PML-RARa positiv - Therapie (Salvagetherapie):
  • ATO-basierte Protokolle und/oder allogene Stammzelltransplantation, wenn Spender verfügbar ist, oder autologe Stammzelltransplantation; Voraussetzung: bei Polymerasekettenreaktion negatives Knochenmark
PML-RARa-Nachweis negativ - Erhaltungstherapie:
  • ATRA, Methotrexat und 6-Mercaptopurin über 2 Jahre
  • Molekulares Monitoring: während der Erhaltungstherapie;anschließend nur bei Patienten mit Leukozytenzahlen von >10 000/µl bei Diagnosestellung kosteneffektiv

8.9.13 Zukünftige Entwicklungen

Bei der Erhaltungstherapie sollte überprüft werden, welche Patienten sie benötigen und ob sie verkürzt werden kann. Es ist herauszufinden, bei welchen Patienten das molekulare Monitoring tatsächlich erforderlich ist. Die Bedeutung des quantitativen Monitorings mittels Polymerasekettenreaktion sollte in prospektiven Studien überprüft werden. Es ist noch unklar, welchen Stellenwert die CD33-Antikörper-Therapie mit Gemtuzumab Ozogamicin bei der Konsolidation nach einer Salvagetherapie mit ATO hat, wenn keine Stammzelltransplantation möglich ist. Auch Tetra-Arsen-Tetrasulfid (AS4S4) ist bei APL wirksam und wurde bereits erfolgreich in der Primärtherapie zusammen mit ATRA eingesetzt, sodass weitere Studien erforderlich sind. Da viele Patienten geheilt werden, ist es wichtig, auch Langzeitfolgen der Therapie zu untersuchen.

Bei ONKODIN publiziert in Kooperation mit "Deutscher Ärzte-Verlag" (Publikation als Buch)
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und in Kooperation mit "Studien-Allianz Leukämie"
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