Onkologie, Hämatologie - Daten und Informationen
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8.11 Therapie der akuten myeloischen Leukämie im höheren Lebensalter

Autor/en: U. Schuler, A. Reichle
Letzte Änderung: 01.07.2008

In den Studien zur Therapie der AML sind die Altersgruppen im höheren Lebensalter deutlich unterrepräsentiert. Der Häufigkeitsgipfel der Erkrankung liegt um das 65. Lebensjahr, wobei die altersabhängige Inzidenz mit höherem Alter weiter zunimmt. In vielen Therapiestudien wurden jedoch nur Patienten bis zu einer Obergrenze um das 55.-65. Lebensjahr eingeschlossen - dies v.a. deshalb, weil häufig vorhandene Komorbiditäten und eine reduzierte Belastbarkeit im höheren Lebensalter nur in geringerem Umfang Therapien mit der Dosisintensität zulassen, wie sie bei jüngeren Patienten eingesetzt wird.

8.11.1 Besonderheiten der klinischen Präsentation

Im höheren Lebensalter steigt der Anteil von Patienten mit sekundärer AML, d.h. derjenigen Patienten, die im Vorlauf ein myelodysplastisches Syndrom aufweisen. Wegen des oft schleichenden Beginns einer Myelodysplasie und möglicherweise überlagernder oder sogar klinisch vordergründiger Komorbidität erscheint die Entwicklung einer AML für den Patienten häufig klinisch nicht klar erkennbar, was die Diagnosestellung verzögert. Bestehende Komorbiditäten und Komedikationen bei älteren Patienten können die klinische Symptomatik bei der Vorstellung beeinflussen, etwa wenn die sich entwickelnde Anämie zu einer Exazerbation einer bestehenden Angina pectoris führt oder wenn eine notwendige orale Antikoagulation oder Thrombozytenaggregationshemmung bereits bei nur gering ausgeprägter Thrombozytopenie Blutungszeichen verursacht.

In Hinblick auf die Aufklärungssituation über eine bevorstehende Therapie besteht die Schwierigkeit, dass besonders in den höchsten Altersgruppen gelegentlich kognitive Einschränkungen bestehen (z.B. bei demenziellen Erkrankungen im Frühstadium), die es erschweren, relevante Inhalte über die Erkrankung zu vermitteln. Daher verweisen Patienten häufig auf Kinder und Enkel als maßgebliche Gesprächspartner für den Arzt. Diesen wiederum fällt oft eine Entscheidung über eine der klinischen Gesamtsituation angepasste Therapie schwerer als dem über seinen Krankheitsverlauf aufgeklärten Patienten.

8.11.2 Zytogenetik und Risikofaktoren

Die zytogenetischen Veränderungen der AML verteilen sich nicht gleichmäßig über die betroffenen Altersgruppen (s. Kap. 6.4). In einer Studie von Bacher et al. [Bacher U 2005] fand sich eine deutliche Abnahme des Anteils der in der Regel prognostisch günstigeren balancierten Aberrationen - z.B. t(8;21), inv(16) oder t(15;17) - von 45% bei den 21-bis 30-Jährigen auf bis zu 12% bei den 61- bis 70-Jährigen. Dagegen verdreifachte sich der Anteil sehr ungünstiger komplex aberranter Karyotypen von 5% auf 17%. Daneben deuten einige Untersuchungen auf eine höhere Prävalenz der prognostisch ungünstigen Multi-drug-resistance-(MDR-)1-Expression hin [Leith CP 1999]. Diese Konstellationen erklären z.T. die schlechteren Therapieergebnisse älterer Patienten und weisen auf unterschiedliche pathogenetische Mechanismen der Leukämieentstehung hin.

8.11.3 Unbefriedigende Therapieergebnisse

Während prospektive Studien zur Therapie der AML im hohen Lebensalter relevante Therapieerfolge nahe legen, sind aus epidemiologischen Erhebungen deletäre Ergebnisse publiziert worden. In einer auf US-amerikanischen Versicherungsunterlagen basierenden Erhebung lag z.B. das mediane Überleben in den Altersgruppen von 65-74 und 75-84 Jahren lediglich bei 3,9 bzw. 2,2 Monaten [Lang K 2005]. Eine britische Studie [Phekoo KJ 2006] dokumentiert in der Altersgruppe über 65 Jahren ein Überlebensrate nach einem Jahr von 15%; nach 3 Jahren sind es nur noch 2% überlebende Patienten.

Die Diskrepanz zu den meist günstigeren Studiendaten erklärt sich partiell aus dem Zuweisungsbias. Kleinere Kliniken schicken ältere Patienten mit offensichtlich schwerer Komorbidität nicht zur Leukämietherapie an größere Zentren, es wird keine zytogenetische Diagnostik zur Risikoabschätzung durchgeführt, und Patienten werden aus Studien ausgeschlossen, wenn Kontraindikationen gegen eine intensivere Therapie vorliegen. Dies macht z.B. in den Studienzentren der OSHO etwa 28% der Patienten dieser Altersgruppe aus [Becker C 2004], die wegen Komorbidität palliativ oder rein supportiv therapiert werden. Ergebnisse aus prospektiven randomisierten Studien sind aus diesen Gründen nur eingeschränkt auf die gesamte Altersgruppe übertragbar.

Meist wird in der Altersgruppe 60-70 Jahre eine Induktionstherapie durchgeführt, die sich an der Behandlung jüngerer Patienten orientiert (in der Regel Antrazyklin plus Cytosin-Arabinosid). Bei über 60-Jährigen sind damit meist nur Remissionsraten von unter 50% erzielbar, also mindestens 20% weniger als bei jüngeren Patienten (Übersicht bei Büchner [Buchner T 2005]).

Gründe hierfür liegen in der höheren Prävalenz prognostisch ungünstiger zytogenetischer Aberrationen sowie in den spezifischen Problemen, die aus Komorbidität, Toxizität der Therapie und veränderten Anforderungen an die Supportivtherapie resultieren. Einige Angaben zu Raten kompletter Remissionen und Daten zum Überleben aus größeren Studien finden sich in Tabelle 8.11, eine grafische Darstellung der erwartbaren Überlebenskurven in Abbildung 8.14.

AML_8_Therapie_Abb_8-14.jpg

Abb. 8.14: Repräsentative Darstellung des mit konventioneller Chemotherapie erzielbaren Gesamtüberlebens In der Altersgruppe >60 Jahre vs. die Altersgruppe <60 Jahre; mod. nach [Buchner T 2006]

Tab. 8.11: Remissionsraten und Langzeitüberleben bei AML im höheren Lebensalter (Auswahl)
QuelleJahrAlter (Jahre)Anzahl PatientenKomplette Remission [%]Gesamtüber-
leben nach 4-5 Jahren [%]
[Stone RM 1995]199460-8634647~ 7
[Mayer RJ 1994]1995>6038853~ 10
[Lowenberg B 1989]199860-8848938-47~ 9
[Godwin JE 1998]199856-8823445~ 12
[Goldstone AH 2001]200156-80131150-62~ 12
[Anderson JE 2002]2002>5532843-47~ 8
[Buchner T 2003]200360-8229760> 9
[Haferlach T 2003]2003>6020456Keine Angabe
[Cripe LD 2006]200456-86362424
[Schlenk RF 2004]200461-8424239-52~ 7
[Buchner T 2006]200660-8593053~ 12

Traditionell wurde seit langer Zeit s.c. verabreichtes Cytosin-Arabinosid als palliative Therapie bei älteren AML-Patienten eingesetzt, ohne dass der Stellenwert dieser Vorgehensweise definiert gewesen wäre. In einer britischen Studie [Burnett AK 2007] wurde nun erstmals eine Überlegenheit dieser Strategie vs. der Gabe von Hydroxyharnstoff gezeigt. Mit einer Dosierung von 2-mal täglich 20 mg für 10 Tage alle 4-6 Wochen konnten sogar 17% komplette Remissionen erzielt werden; das Überleben wurde verbessert (Hazard ratio: 0,61; p=0,001), Median- und 1-Jahres-Überleben wurden im Abstract jedoch nicht angegeben.

8.11.4 Toxizität und Supportivtherapie

Werden Konzepte und Dosierungen der Chemotherapie, wie sie bei jüngeren Patienten verabreicht wird, unmodifiziert auf ältere Patienten übertragen, so zeigt sich eine steigende Inzidenz an Toxizitäten. Es ergibt sich eine höhere Prävalenz der Kardiotoxizität von Anthrazyklinen und anderen Zytostatika, ebenso eine gesteigerte Schleimhaut- und Neurotoxizität. Schwere Infektionen treten häufiger auf und verlaufen schwerwiegender. Die körperlichen Reserven, infektiöse Episoden wie z.B. eine Pneumonie durchzustehen, sind reduziert, z.B. kann die notwendige gesteigerte Atemmuskelarbeit nicht mit gleicher Ausdauer wie beim jüngeren Patienten geleistet werden.

Die klinische Manifestation von Nebenwirkungen kann sich von der bei Jüngeren unterscheiden. Die verzögerte chemotherapieassoziierte Übelkeit ist u.U. ausgeprägter, während die akute Nausea im Vergleich zu Jüngeren geringer ist. Septikämien können schwerer zu diagnostizieren und in ihrer Schwere abzuschätzen sein, da die Fieberreaktion u.U. schwächer ausgeprägt ist. Gelegentlich kann zunehmende Verwirrtheit das richtungweisende und alleinige Sepsissymptom darstellen. Begleiterkrankungen müssen zusätzlich diagnostiziert und behandelt werden (z.B. Blutzuckerspiegeleinstellung, Nephroprotektion, Optimierung der Therapie von Herzrhythmusstörungen oder einer arteriellen Hypertonie). Eine Physiotherapie zum Erhalt der Mobilität und zur Atemtherapie mag zu einer Reduktion der Morbidität beitragen, auch wenn bisher kaum Studien vorliegen, die sich explizit dieser Frage gewidmet hätten.

Blutdrucksenkende und zentral wirksame Substanzen sind mit Vorsicht einzusetzen und zu dosieren, um orthostatische und paradoxe Reaktionen zu vermeiden. Insgesamt ist die Reaktion eines organgesunden älteren Patienten auf eine intensive Chemotherapie schwerer vorherzusehen, und zwar wegen einer möglicherweise altersbedingt eingeschränkten Leistungskapazität einzelner Organe.

Ob das Alter per se die Inzidenz neutropenischer Komplikationen erhöht, ist nicht geklärt; kleinere Studien fanden keinen Hinweis dafür [Garcia-Suarez J 2003]. Allerdings ist das Risiko des tödlichen Ausgangs bei manifester Bakteriämie in den höheren Altersgruppen größer. Eine neuere dänischen Studie fand - unter Einschluss auch anderer hämatologischer Erkrankungen [Norgaard M 2006] - eine 30-Tages-Letalität der neutropenischen Bakteriämie von 23% bei Patienten unter 60 Jahre und von 35% bei Patienten zwischen 60 und 79 Jahren gegenüber 54% bei Patienten über 80 Jahren.

8.11.5 Definition von Altersgrenzen?

Die insgesamt frustrierenden therapeutischen Erfahrungen mit bisherigen dosisintensiven Therapien haben zu Überlegungen geführt, Altersgrenzen zu definieren. Daten der italienischen Arbeitsgruppen [Pulsoni A 2004] haben nahe gelegt, dass Patienten über 70 Jahren nicht von einer intensiven Induktion profitieren. Im Gegensatz hierzu fand eine schwedische Studie heraus, dass bei kurativ intendierter Therapie auch in dieser Altersgruppe (70-79 Jahre) die 2-Jahres-Überlebensrate mit einer normalen Induktionstherapie höher ist [Juliusson G 2006]. In diesem Patientenkollektiv zeigt die Überlebenskurve ein Plateau bei 10%. Nur spärliche Daten sind für über 80-Jährige verfügbar [Latagliata R 2002]. Für die Mehrheit der Patienten ist das Überleben auf wenige Wochen beschränkt; ein mehr als 12-monatiges Überleben ist nur für einen geringen Prozentsatz (7-11%) möglich, und zwar sowohl mit intensiver Therapie als auch mit einer rein supportiven Behandlung.

8.11.6 Assessment

Es ist offensichtlich, dass das numerische Alter allein nur wenig über die gesundheitliche Situation eines alten Patienten aussagt. Andererseits nimmt die Zahl gesundheitlicher Probleme mit dem Alter zu. Es können eine Vielzahl zumeist chronisch verlaufender objektivierbarer Erkrankungen vorliegen, die selbstverständlich erfasst werden müssen. Funktionelle Einschränkungen, welche die Patienten hierdurch erleiden, stehen oft nicht in kausalem Zusammenhang mit medizinisch im Vordergrund stehenden Diagnosen. Daraus resultierende Einschränkungen der selbstständigen Lebensführung entgehen auch deshalb einer krankheitsorientierten klinischen Anamnese und Untersuchung. In der Geriatrie wurde ein spezifisches Assessment etabliert, um diese Lücke zu schließen. Es beinhaltet die Bereiche "funktioneller Status" (basale und instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens), "Kognition", "Depression", "Ernährung", "Mobilität" und "soziale Situation".

Hinsichtlich der Komorbiditäten konnten 2 unabhängige Arbeitsgruppen [Etienne A 2006] [Giles F 2006] zeigen, dass der ursprünglich für die Stammzelltransplantation entwickelte Komorbiditätsindex [Sorror ML 2005] zur strukturierten Erfassung und Quantifizierung von Begleiterkrankungen geeignet ist.

Das geriatrische Assessment ist für eine Reihe von Endpunkten validiert (z.B. Risiko der Rehospitalisierung, Notwendigkeit institutionalisierter Pflege, Mortalität) und bietet sich deshalb auch für die schwierige Therapieentscheidung an, primär eine konventionell dosierte Induktionstherapie einzusetzen oder ggf. aufgrund der ausgeprägten Toxizität der Therapie und/oder der schlechten Prognose trotz dieser intensiven Therapie darauf zu verzichten. In einer kleinen Serie mit 63 Patienten konnte gezeigt werden, dass die sog. instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (Instrumental activities of daily living [Bacher U 2005]) neben dem Karnofsky-Score und der Zytogenetik als unabhängige Variable das mediane Überleben mit vorhersagen können.

Es gibt derzeit keinen konsensfähigen Algorithmus, der es erlauben würde, aus den vorgenannten Faktoren eine dezidierte Einteilung der Patienten in "kurativ therapierbare" und "nicht kurativ therapierbare" Patienten in jedem Fall möglich zu machen. Die Kenntnis der Einflussgrößen ist aber eine notwendige Voraussetzung, um im Gespräch mit Patient und ggf. Angehörigen eine gemeinsam tragbare Entscheidung zu finden. Die relevanten Faktoren und Entscheidungsergebnisse sind in Abbildung 8.15 schematisch dargestellt.

AML_8_Therapie_Abb_8-15.jpg

Abb. 8.15: Entscheidungsfindung für ältere Patienten mit AML; Einflussfaktoren und mögliche Therapiestrategien. IADL Instrumental activities of daily living, instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens; LDH Laktatdehydrogenase; MDS myelodysplastisches Syndrom

8.11.7 Gegenwärtige Studienkonzepte

Weltweit wird an Konzepten gearbeitet, um die therapeutische Lücke zu schließen (Übersicht u.a. bei [Buchner T 2005]). Die Strategien lassen sich unscharf in 2 Gruppen ordnen, zum einen in Versuche, durch eine Supportivtherapie die Chemotherapie verträglicher oder wirksamer zu machen, zum anderen in Versuche, sich Medikamente nutzbar zu machen, die völlig neue Targets in den Leukämiezellen haben oder neu entwickelte Zytostatika darstellen.

Eine relevante Prognoseverbesserung durch Wachstumsfaktoren konnte bisher nicht eindeutig belegt werden. Eine Indikation wird lediglich bei der Verkürzung der Neutropeniedauer gesehen (z.B. [Amadori S 2005] [Heil G 2006]). Hoffnungen auf MDR-Modulatoren (höhere Expression bei älteren Patienten) wurden enttäuscht [van der Holt B 2005], und auch der jüngere MDR-Modulator Zosuquidar konnte in einer randomsierten Studie keine relevanten klinischen Vorteile erbringen [Cripe LD 2006]. Allerdings war die Verteilung des Performance-Status zwischen den Gruppen für den Verumarm deutlich nachteilig. Auch der Einsatz von liposomalem Daunorubicin konnte trotz günstiger Trends bisher keine signifikante Verbesserung des Überlebens bewirken [Latagliata R 2006].

Seit Kurzem liegen erste Ergebnisse von Studien vor, in denen das mit einem Anti-CD33-Antikörper gekoppelte Zytostatikum Calicheamicin (Gemtuzumab Ozogamicin, GO) mit konventioneller Chemotherapie kombiniert wurde. In einer randomisierten britischen Studie [Burnett AK 2006b] mit 1115 Patienten (nur z.T. älter als 60 Jahre) konnte ein Unterschied in der Rate kompletter Remissionen nicht dokumentiert werden; Vorteile der Kombination von GO mit Cytosin-Arabinosid ergaben sich nur hinsichtlich des krankheitsfreien Überlebens - das Gesamtüberleben war nicht signifikant verbessert. Mehrere kleinere, nicht randomisierte Studien gehen ebenfalls von Vorteilen für den Einsatz von GO bei älteren Patienten aus [Agha ME 2004] [Amadori S 2004] [Eom KS 2006] [Kujawski LA 2004, 2005] [Pirrotta MT 2005]. In einer nicht randomisierten sequenziellen Studie konnten durch die Hinzunahme von All-trans-Retinolsäure (All-trans retinoic acid, ATRA) und GO zu einer Hochdosis Cytarabin/Mitoxantron(HAM)-Salvagetherapie die Remissionsrate und das mediane Überleben signifikant verbessert werden [Schlenk RF 2006]. Weiterhin wird GO auch gerade in der höheren Altersgruppe mit ungewöhnlichen Partnern wie Azacitidin oder Arsentrioxid kombiniert [Nand S 2006] [Sekeres MA 2006]; eine abschließende Einschätzung dieser Strategien ist jedoch noch nicht möglich.

Eine weitere interessante neue Substanz ist Clofarabin. In einer Phase-II-Studie konnte bei 10 von 26 älteren Patienten mit zytogenetischer Hochrisiko-AML eine komplette Remission erzielt werden [Agura E 2006]. In einer weiteren Studie wurden ältere Patienten eingeschlossen, die sich nicht für eine Standardtherapie eigneten. In diesem Kollektiv von 66 Patienten war eine Ansprechrate von 48% erzielbar [Burnett AK 2006a].

Eine Reihe von Substanzen greift in die zelluläre Signaltransduktion der Leukämiezelle oder in die Angiogenese des Knochenmarks ein. Obwohl klinische Effekte sichtbar sind (u.a. bei Tipifarnib und SU5416), ist bisher in diesem Bereich noch kein Durchbruch erzielt worden. In Kürze wird eine randomisierte Studie die Effektivität von Sorafenib zusätzlich zur Standarderstlinientherapie bei neu diagnostizierter AML evaluieren (SAL StudienAllianz Leukämie - AMLCG Münster und DSIL).

In Hinblick auf Remissions- und Überlebensraten werden derzeit die höchsten Werte von der OSHO-Studiengruppe veröffentlicht [Becker C 2004]. Mitoxantron an 3 aufeinander folgenden Tagen (10 mg/m2KOF/Tag) wird mit Cytosin-Arabinosid (2-mal 1 g in 12-stündigem Abstand) an den Tagen 1, 3, 5 und 7 kombiniert. Trotz der hohen Cytosin-Arabinosid-Dosen wird das Protokoll - wohl wegen der Pausen - auch bei älteren Patienten relativ gut toleriert. Die Remissionsraten liegen mit 75% für De-novo- und mit 61% für sekundäre AML im absoluten Spitzenbereich publizierter Daten. Trotz hoher Fallzahlen haben diese Daten das Manko, nicht aus einer randomisierten Studie zu stammen. Derzeit wird dieser Therapieansatz in einer prospektiven Studie mit einer konventionellen Daunorubicin/ARA-C-(DA-)Therapie verglichen.

Vielversprechend sind die Effekte von ATRA in Kombination mit intensiver Chemotherapie bei AML-Patienten (keine akute Promyelozytenleukämie), wie sie von der Ulmer Studiengruppe in einer prospektiven Phase-III-Studie nachgewiesen werden konnten [Schlenk RF 2004]. Durch die Gabe von ATRA konnte die Remissionsrate um etwa 13% gesteigert werden, was sich auch in einem um etwa 4 Monate längeren Überleben (Unterschied von etwa 15% nach 2 Jahren) niederschlägt. In einem ähnlichen Ansatz überprüft diese Studiengruppe derzeit die zusätzliche Gabe von Valproinsäure in Kombination mit ATRA und Chemotherapie.

In einer Studie mit 157 randomisierten Patienten wurde überprüft, ob Interleukin 2 (IL-2) in der Erhaltungstherapie eine Prognoseverbesserung bewirken könnte [Baer MR 2006], was sich aber nicht bestätigte. Allerdings wurde die IL-2-Gabe in dieser Untersuchung nicht - wie in der einzigen größeren positiven Studie - mit der Verabreichung von Histaminhydrochlorid kombiniert [Brune M 2006]. In jener Untersuchung waren 125 von 320 Patienten älter als 60 Jahre; der IL-2-Histamin-Effekt ist aber nicht für diese Subgruppe separat ausgewiesen.

Eine Reihe von Publikationen beschäftigen sich mit der Möglichkeit, auch ältere Patienten mit AML einer autologen oder - mit reduzierter Konditionierung - allogenen Stammzelltransplantation zuzuführen [Bertz H 2003] [Hegenbart U 2006]. Obwohl dies bei einzelnen Patienten sicher zu einer anhaltenden Remission und zu einer Prognoseverbesserung führen kann, muss man sich vor Augen halten, dass nur ein verschwindend kleiner Anteil der Patienten dieser Altersgruppen davon profitieren wird.

Für ältere Patienten liegt das Problem einer Therapie vonseiten der AML in der Heterogenität der Erkrankung, insbesondere den häufigeren sekundären Formen und den vermehrt auftretenden prognostisch ungünstigen Karyotypen (bezogen auf Ergebnisse mit konventioneller dosisintensiver Chemotherapie). Leider fehlt es bisher an Ansätzen, die eine selektive Elimination der leukämischen Blasten unter Schonung der noch normalen Hämatopoese ermöglichen oder die eine "Chronifizierung" der Erkrankung unter Aufrechterhaltung einer "normalen" Resthämatopoese erlauben würden. Im therapeutischen Alltag steht somit im Vordergrund, das verfügbare (aber unzulängliche) therapeutische Angebot für die Gruppe der älteren Patienten den "richtigen" Patienten zukommen zu lassen. Zu hoffen bleibt, dass sich in Zukunft das Verständnis der Pathophysiologie der Erkrankung weiter vertieft und sich hieraus besser zielgerichtete Therapien ergeben. Aktuell werden auf der Basis von Score-Systemen Patienten als "therapieungeeignet" klassifiziert. Es bleibt die Hoffnung, dass in Zukunft unsere heutigen belastenden Therapien als "patientenungeeignet" der Vergangenheit angehören.
Bei ONKODIN publiziert in Kooperation mit "Deutscher Ärzte-Verlag" (Publikation als Buch)
Deutscher Ärzte-Verlag  Deutscher Ärzte-Verlag
und in Kooperation mit "Studien-Allianz Leukämie"
Deutscher Ärzte-Verlag  Studien-Allianz Leukämien
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